Dem Urteil vom BSG (v. 25.11.2015 – B 3 KR 3/15 R) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist Tierärztin und hauptamtlich als angestellte Veterinärin beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. Nebenberuflich führt sie als selbstständige Unternehmerin eine tierärztliche Praxis und ist bei der Berufsgenossenschaft (BG) für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege mit einer an ihrem durchschnittlichen Einkommen aus dieser Tätigkeit orientierten Versicherungssumme freiwillig versichert. Die Klägerin erlitt mehrere Unfälle im Rahmen ihrer nebenberuflichen Tätigkeit. Die BG zahlte aus der freiwilligen Unfallversicherung Verletztengeld. Die beklagte Krankenkasse zahlte im Auftrag der BG das Verletztengeld aus (§ 189 SGB VII), lehnte aber den Antrag der Klägerin ab, zusätzlich nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums Krankengeld zu bezahlen. Sie berief sich insofern auf die Ausschlussregelung in § 11 Abs. 5 S. 1 SGB V, wonach auf Leistungen der Krankenversicherung kein Anspruch besteht, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind.

Die Vorinstanzen haben die Klage unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 25.6.2002 – B 1 KR 13/01 R) abgelehnt. Dieser Rechtsprechung, der sich auch der 3. Senat zur Auslegung des § 11 Abs. 5 S. 1 SGB V anschließt, ist allerdings zu Konstellationen ergangen, in denen – unter dem Aspekt der Lohnersatzleistung – dieselbe Tätigkeit kranken- und unfallversichert war. Bei dieser Lage sollen Kranken- und Verletztengeld grundsätzlich den Einnahmeausfall ausgleichen und es ist sachgerecht, dass der Gesetzgeber in § 11 Abs. 5 S. 1 SGB V diese Aufgabe bei der BG konzentriert, auch weil das Verletztengeld grundsätzlich höher ist als das Krankengeld (s. § 47 Abs. 1 SGB VII einerseits, § 47 Abs. 1 SGB V andererseits). Diese Erwägungen, so das Urteil des BSG unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen, können jedoch nicht auf Konstellationen übertragen werden, in denen eine Person zwei grundlegend verschiedene, im Einklang mit der Rechtsordnung sozialversicherungsrechtlich anders zu behandelnde Tätigkeiten ausübt. Die Klägerin hat ihr Einnahmeausfallrisiko aus ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung als angestellte Veterinärin durch ihre Pflichtversicherung bei der Beklagten abgesichert. Erleidet sie in dieser (auch) gesetzlich unfallversicherten Beschäftigung einen Arbeitsunfall, greift § 11 Abs. 5 S. 1 SGB V ein: Sie bekommt "nur" Verletztengeld, bezogen auf ihr (auch) krankenversicherungsrechtlich abgesichertes Gehalt. Erleidet sie außerhalb ihrer Beschäftigung einen (Freizeit-)Unfall, erhält sie Krankengeld, weil der Ausschluss des § 11 Abs. 5 S. 1 SGB V nicht generell alle unfallbedingten AU-Zeiten erfasst, sondern nur eingreift, wenn Leistungen einer BG zu erbringen sind. Aus verfassungsrechtlichen Gründen kann der Ausschluss des Krankengeldes jedoch nicht den Fall erfassen, in dem eine Person neben einer kranken- und unfallversicherungspflichtigen Tätigkeit als Arbeitnehmer eine weitere, nicht krankenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübt, in der sie nicht gesetzlich unfallversichert ist, sich aber freiwillig bei einer BG als Unternehmerin versichert. Im vorliegenden Fall fließt in die Berechnung des Krankengelds lediglich das Arbeitsentgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis ein, während sich das Verletztengeld an dem Arbeitseinkommen aus der selbstständigen Tätigkeit als praktizierende Tierärztin orientiert. Demnach ist § 11 Abs. 5 S. 1 SGB V nach Auffassung des BSG dahin auszulegen, dass der Ausschluss des Krankengeldanspruchs nur eingreift, wenn das Verletztengeld aus der freiwillig eingegangenen Unfallversicherung unter Berücksichtigung des gesamten Einkommens des Betroffenen bis zur Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung berechnet wird und so (auch) an die Stelle des Krankengelds treten kann, dass der Versicherte erhalten würde, wenn er sich nicht freiwillig versichert hätte. Das BSG stellt auch darauf ab, dass die traditionelle Fixierung des Versicherungsrechts auf eine – und nur eine – Erwerbstätigkeit einer Person nicht mehr konsequent durchzuhalten ist. Das Nebeneinander von Beschäftigungen als Arbeitnehmer oder die Kombination von abhängiger Hauptbeschäftigung und selbstständiger "Nebentätigkeit" sind heutzutage keine quantitativ zu vernachlässigenden Randphänomene mehr, bei denen sachwidrige Ergebnisse möglicherweise als unvermeidbar hingenommen werden könnten.

 

Hinweis:

Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn jemand sowohl in seiner hauptberuflichen Tätigkeit, als auch in seiner zweiten Tätigkeit (z.B. als selbstständiger Landwirt oder als geringfügiger Beschäftigter) unfallversicherungspflichtig ist, lässt der Senat offen.

Es ist keine ungewöhnliche Situation, dass Personen, die mehrere Beschäftigungen ausüben, aus der jeweiligen Tätigkeit Sozialleistungsansprüche herleiten. Das BSG ...

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