1. Sorgerecht

a) Entzug des Sorgerechts bei Missachtung der Schulpflicht

  • Nach einer Entscheidung des OLG Hamm (FamRZ 2020, 344 im Anschluss an OLG Düsseldorf FamRZ 2019, 35) stellt die Weigerung der Eltern, ihr Kind auf einer öffentlichen Schule oder einer staatlich anerkannten Ersatzschule beschulen zu lassen, für sich allein noch keine Kindeswohlgefährdung dar, die sorgerechtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB rechtfertigen würde, wenn sie dem Kind durch Heimbeschulung hinreichend Wissen vermitteln und keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung der körperlichen, kognitiven, sprachlichen, motivationalen, emotionalen und sozialen Entwicklung des Kindes vorliegen.
 

Hinweis:

Die Ahndung einer Verletzung der Schulpflicht durch die Schulbehörde bleibt von der Ergreifung familiengerichtlicher Maßnahmen unberührt.

  • Eine langdauernde Schulabsenz stellt jedoch, wie das OLG Hamburg (FamRZ 2020, 922) herausstellt, eine konkrete Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 BGB dar, wenn die Eltern die eigene geringe Bildung auf die Kinder übertragen und ihnen die Chance auf Wissenserwerb und eine darauf aufbauende berufliche Entwicklung nehmen. Gleichwohl ist dann von einer Sorgerechtsbeschränkung abzusehen, wenn geeignete Maßnahmen zur Integration der Kinder in das deutsche Schulsystem nicht wirksam sein würden (hier: wegen der vollziehbaren Ausreisepflicht der Familie).
  • Ein Sorgerechtsentzug oder der Erlass von Auflagen gem. § 1666 Abs. 3 BGB kommt nach einer Entscheidung des OLG Koblenz (FamRZ 2020, 933) ebenso wenig in Betracht, wenn ein Verstoß der Kindeseltern gegen die Schulpflicht infolge unzureichender Kinderschutzmechanismen keine Konsequenzen nach sich ziehen würde (hier: kein Platz in einer geeigneten Einrichtung).
  • Der EGMR (FamRZ 2020, 33) hat entschieden, dass Schulpflicht und Verbot der Heimbetreuung in Deutschland keinen Konventionsverstoß darstellen, da sie auf die Integration von Kindern in die Gesellschaft und die Vermeidung von Parallelgesellschaften zielen. Auch die der Durchsetzung dienenden §§ 1666, 1666 BGB haben insb. das Kindeswohl im Auge. Zur Durchsetzung der Schulpflicht bei Heimbeschulung durch die Eltern können ein zeitweiliger Entzug der elterlichen Sorge und die Fremdunterbringung der Kinder gerechtfertigt sein, wenn dadurch die Isolierung der Kinder vermieden und ihre Integration in die Gesellschaft sichergestellt werden soll und eine Durchsetzung der Schulpflicht durch Zwangsgeld erfolglos geblieben ist. Dies gilt insb. dann, wenn der Verdacht eines entwicklungshemmenden Abhängigkeitsverhältnisses der Kinder zu den Eltern besteht und die Eltern eine weitere Aufklärung der sozialen Fähigkeiten der Kinder und ihres Wissensstands durch staatliche Lernkontrollen verweigern. Der Gerichtshof betont, dass Eingriffe in das Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) den Schutz der Gesundheit, der Rechte und Freiheiten des Kindes zum Ziel haben müssen. Angesichts der Schwere von Maßnahmen, bei denen Eltern und Kinder getrennt werden, ist sicherzustellen, dass sie nicht länger dauern, als die Kindesrechte dies erforderlich machen, und dass, wo immer möglich, Maßnahmen zur Zusammenführung der Kinder und Eltern zu treffen sind.

b) Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung

Leben die Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinschaftlich zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist gem. § 1687 Abs. 1 S. 1 BGB bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Das OLG Karlsruhe (MDR 2020, 735 = FamRB 2020, 228 m. Hinw. Clausius) erachtet die Unterbringung des Kindes bei einer Tagesmutter an drei Werktagen in der Woche für jeweils sechs Stunden – einschließlich der Eingehung eines darauf gerichteten Betreuungsvertrags – als eine solche Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Eine regelmäßige Betreuung durch einen Dritten, insb. ein damit verbundener Umgang mit anderen Kindern, spielt für die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung des Kindes eine wichtige Rolle.

c) Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts und Sorgerechtsvollmacht

  • Langjährige Haft eines Elternteils

Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 BGB ist bei dauerndem Getrenntleben einem Elternteil die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge erfordert eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der ehelichen Kommunikation und die fehlende Fähigkeit gemeinsamer Entscheidungsfindung sowie eine erhebliche Belastung des Kindes, wenn die gemeinsame Sorge fortbestehen würde. Diese Voraussetzung hat das OLG Celle (FamRZ 2020, 428) in einem Fall bejaht, in dem der Kindesvater wegen eines Tötungsdelikts eine langjährige Haftstrafe verbüßt, das Verhältnis der Eltern nachhaltig zerrüttet war und der Vater seit Jahren zu seinem Sohn nur einen einmaligen Besuchskontakt hatte.

  • Sorgerechtsvollmacht

Im o.a. Fall hatte der Vater der Mutter eine Sorgerechtsvollmacht erteilt. Darin sah das OLG kein Hindernis, das gemeinsame Sorgerecht aufzuheben. Die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht rechtfertige allein nicht die Beibehaltung der elterlichen Sorge (so auch OLG Karlsruhe FamRZ...

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