Verfahrensgang

AG Hamburg-Harburg (Aktenzeichen 630 F 123/19)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg - Familiengericht - vom 31.5.2019 abgeändert. Die angeordneten Beschränkungen der elterlichen Sorge sowie die Ergänzungspflegschaft werden aufgehoben.

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet.

3. Den Kindeseltern wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungen unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin (J...) bewilligt.

4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit Beschluss vom 31.5.2019 hat das Familiengericht den sorgeberechtigten Eltern die Rechte zur Aufenthaltsbestimmung, zur Erziehung und zur Gesundheitsfürsorge für die betroffenen Kinder im Wege der einstweiligen Anordnung entzogen und eine Ergänzungspflegschaft eingerichtet.

Hintergrund war zum einen massive Schulabsenz beider Kinder in der 1./2. Grundschulklasse mit dem Ergebnis, dass das zurückliegende Schuljahr für beide Kinder als verloren angesehen werden muss. Der im Vorverfahren zum Az. 630 F 133/18 ausgesprochene Entzug des elterlichen Sorgerechts in schulischen Angelegenheiten hat daran im Ergebnis nichts geändert. Zum anderen ist die wirtschaftliche Lage der Familie desolat, da sie über keine Arbeitseinkünfte verfügt und, weil beide Eltern und alle Kinder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch keine staatlichen Leistungen erhält. Hierdurch bedingt hat die Familie ihre Wohnung in der (...) verloren und hält sich derzeit äußerst notdürftig in einem Zimmer bei der Mutter der Kindesmutter auf.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Beschluss des Familiengerichts vom 31.5.2019 verwiesen.

Gegen diesen Beschluss, der der Kindesmutter am 5.6.2019 zugestellt worden ist, richtet sich ihre am 11.6.2019 beim Familiengericht eingereichte und am 10.7.2019 begründete Beschwerde.

Zur Begründung führen die Kindeseltern aus, dass sie - nach zwischenzeitlicher Trennung und Flucht der Kindesmutter in ein Frauenhaus - wieder zusammenleben würden und sich auch angesichts ihrer vollziehbaren Ausreisepflicht entschlossen hätten, zusammen mit allen Kindern nach Polen umzuziehen. Ein dort lebender Onkel der Kindesmutter sei bereit, die siebenköpfige Familie bis auf weiteres aufzunehmen. In Polen bestünden wegen der familiären Bezüge und der polnischen Staatsangehörigkeit beider Eltern bessere Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie. Die Kindeseltern seien darüber hinaus willens, den Schulbesuch der Kinder in Polen künftig sicherzustellen.

Mit Blick auf diese Entwicklung hat das Familiengericht die im Parallelverfahren zum Aktenzeichen 630 F 144/19 bezüglich der drei jüngeren Kinder der Familie ((K .),...Jahre, (L .) und (M .), ... Monate) angeordnete Sorgerechtsbeschränkung mit Beschluss vom 10.7.2019 aufgehoben. Die Kinder wurden an die Eltern herausgegeben.

Für (C .) und (A .) stellt sich die derzeitige Situation nach den übereinstimmenden Berichten des Verfahrensbeistands, des Jugendamts und der Kindeseltern als sehr belastend dar. Sie können nicht verstehen, dass ihre jüngeren Geschwister wieder bei ihren Eltern leben dürfen, sie jedoch nicht.

Die Beteiligten wurden am 30.7.2019 angehört. Für den Fall der Aufhebung der Sorgerechtsbeschränkung für (C .) und (A .) planen die Kindeseltern die Ausreise nach Polen mit allen Kindern noch in dieser Woche.

II. Die Beschwerde der Kindesmutter ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingereicht worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Zwar stellt die langdauernde Schulabsenz von (C .) und (A .) eine konkrete Kindeswohl- gefährdung im Sinne von § 1666 BGB dar. Der Zugang zu Bildung ist eine Grundvoraussetzung für ein späteres selbstbestimmtes Leben der Kinder sowohl in der deutschen wie auch in der polnischen Gesellschaft. Die Kindeseltern sind nicht berechtigt, die durch ihre eigene Sozialisation bedingte niedrige Priorisierung schulischer Bildung auf ihre Kinder zu übertragen und diesen die Chance auf Wissenserwerb und eine darauf aufbauende berufliche Entwicklung von vornherein zu nehmen. Die Behauptung der Kindeseltern, ein regelmäßiger Schulbesuch der Kinder sei bislang aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten (Notwendigkeit des Fahrkartenkaufs) nicht möglich gewesen, ist nicht überzeugend. Der Weg zwischen der bisherigen Wohnung der Kindeseltern und der Schule betrug zu Fuß ca. 30 Minuten; er hätte notfalls auch ohne Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel bewältigt werden können.

Ob die Kindeseltern zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung in der Lage sind, erscheint zweifelhaft. In der Vergangenheit haben Hilfen seitens des Jugendamts und eine in einem Vorverfahren angeordnete Beschränkung der elterlichen Sorge bezüglich der schulischen Angelegenheiten keine substantielle Verbesserung der Situation herbeiführen können. Ob die jetzt geplante Ausreise der Familie nach Polen einen insoweit günstigen Einfluss haben wird, ist ...

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