Die Frage, ob die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeugen zulässig ist, will man, wenn man sie liest, schnell verneinen und darauf verweisen, dass insoweit ein Beweiserhebungsverbot besteht. Allerdings wäre das ein wenig vorschnell. Denn es gibt Ausnahmen. Und zwar einmal dann, wenn das Verfahren gegen den Mitangeklagten abgetrennt ist (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 3104 ff.) und im Berufungsverfahren, wenn die Berufung des (ehemaligen) Mitangeklagten bereits (gem. § 329 Abs. 1 StPO) verworfen worden ist.

Mit der letzteren Ausnahme befasst sich das OLG Bamberg (Beschl. v. 23.2.2015 – 3 OLG 8 Ss 126/14, StraFo 2015, 155). Da war der Angeklagte vom AG wegen Diebstahls verurteilt worden. Zusammen mit dem Angeklagten hatte das AG die zusammen mit dem Angeklagten beiden Mittäterinnen M. und S. wegen Diebstahls verurteilt. Die gegen das erstinstanzliche Urteil seitens des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, eingelegten Berufungen hat das LG dann als unbegründet verworfen, während es die auch von der ehemals Mitangeklagten M. eingelegte Berufung schon zuvor nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen hatte, weil die Mitangeklagte nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienen war. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Verfahrensrüge hat der Angeklagte die Verletzung von § 244 Abs. 3 S. 1 StPO bei der Ablehnung eines Antrags auf Einvernahme der Mitangeklagten M. als Zeugin zur Schuldfrage beanstandet.

Das OLG Bamberg sagt: zu Recht, denn: Das LG hätte den Antrag des Angeklagten auf Vernehmung der (früheren) Mitangeklagten als Zeugin nicht nach § 244 Abs. 3 S. 1 StPO als unzulässig ablehnen dürfen. Zwar sei das LG zutreffend davon ausgegangen, dass ein auf Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag deshalb als unzulässig i.S.v. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO abzulehnen sei, weil ein Mitangeklagter nicht zugleich Zeuge sein könne. Denn der Erhebung des begehrten Zeugenbeweises stehe in diesem Fall ein Beweiserhebungsverbot entgegen (BGH NStZ 2011, 168 = StraFo 2011, 90; KK-Krehl, a.a.O., § 244 Rn. 109; Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 49; LR/Becker, StPO, 26. Auf., § 244 Rn. 189, jeweils m.w.N.). Allerdings sei hier im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des LG über den Beweisantrag die frühere Mitangeklagte wegen des erlassenen Urteils nach § 329 Abs. 1 StPO bereits aus dem Verfahren ausgeschieden gewesen, so dass sie deshalb als Zeugin vernommen werden konnte. Nach st. obergerichtl. Rspr. und zutreffender Ansicht im Schrifttum kommt es – so das OLG – für die Frage, ob jemand Mitangeklagter ist und deshalb als Zeuge ausscheidet, ausschließlich auf die prozessuale Gemeinsamkeit an (BGHSt 10, 8, 11 f.; 10, 186, 187 ff.; 18, 238, 240; 27, 139, 141; LR/Ignor/Bertheau, a.a.O., Vor § 48 Rn. 33 f.; KK/Senge, a.a.O., Vor § 48 Rn. 7 ff.). Nur solange diese Klammer bestehe, scheide die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge aus (BGHSt 10, 8, 11 f.; BGH NJW 1964, 1034; NStZ 1984, 464 = NJW 1985, 76 = StV 1984, 361; KK/Senge, a.a.O., Vor § 48 Rn. 7 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 21 f.; Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 322; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 9. Aufl., Rn. 1005, 927 ff., jeweils m.w.N.).

 

Hinweis:

Es kommt nicht unbedingt darauf an, ob ein Beschluss über die Abtrennung des Verfahrens erlassen worden ist. Darauf weist das OLG Bamberg (a.a.O.), nachdem das LG darauf abgestellt hatte, hin. Es entspricht zwar der o.a. Rechtsprechung, dass die prozessuale Gemeinsamkeit durch einen Abtrennungsbeschluss aufgehoben wird. Allerdings hat der BGH auch stets explizit betont, dass die Abtrennung des Verfahrens nur ein Beispiel sei, durch welches die prozessuale Gemeinsamkeit aufgelöst werde (vgl. BGH, a.a.O.; ebenso: KK/Senge, a.a.O., Vor § 48 Rn. 8). Es versteht sich von selbst, dass ein Abtrennungsbeschluss zur Aufhebung der prozessualen Verbindung dann nicht erforderlich ist, wenn gegen den bisherigen Mitangeklagten ein Urteil ergangen ist. Denn durch diese Entscheidung ist der Mitangeklagte aus dem bis dahin gemeinsam geführten Verfahren ausgeschieden, so dass für einen Abtrennungsbeschluss deshalb schon gar kein Raum mehr bestünde.

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