I. Einführung

§ 140 StPO sichert in Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips und des Rechts auf ein faires Verfahren die Belange des Angeklagten sowie das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozessordnungsgemäßen Strafverfahren hat (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl. 2013, Rn. 2085 [im Folgenden Burhoff, Handbuch EV]).

Die Vorschrift ist deshalb für das rechtstaatliche Strafverfahren von zentraler Bedeutung. Dennoch wird häufig sehr restriktiv mit Beiordnungsanträgen umgegangen, der Verteidiger muss dann ebenso wie sein Mandant auf dem Weg zur Beiordnung mit Widerstand rechnen. Nicht selten ist ein regelrechter Abwehrreflex zu beobachten, was wohl dem stets wiederkehrenden Verdacht geschuldet ist, dem Verteidiger gehe es lediglich darum, sich auf Kosten der Staatskasse eine Einnahmemöglichkeit zu verschaffen. Zum Streit kommt es oftmals nicht bei der Frage der Beiordnung an sich, sondern auch bei der Auswahl des Verteidigers. So wird nicht selten der Versuch unternommen, die Kosten für die Verteidigung möglichst gering zu halten, was insbesondere dann relevant wird, wenn der Rechtsanwalt, der zum Pflichtverteidiger bestellt werden soll, seinen Kanzleisitz in einiger Entfernung zum Gerichtsort hat. Obwohl der Gesetzgeber das Kriterium der Ortsansässigkeit bereits vor Jahren aufgegeben hat, kommt es immer noch zu Entscheidungen, in denen auf fehlende Ortsnähe abgestellt wird.

 

Hinweis:

Der Bedeutung einer angemessenen Verteidigung entsprechend haben Urteile, die unter Verstoß gegen § 140 StPO zustande kommen, keinen Bestand. Liegen die Voraussetzungen für eine Beiordnung vor und unterbleibt diese, ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben, und zwar auch dann, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung keinen Beiordnungsantrag gestellt hat (OLG Saarbrücken StRR 2014, 145).

Der Verteidiger muss in der Revision die Verfahrensrüge erheben und dabei die Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO beachten (Burhoff ZAP F. 22 R, S. 835 und 882).

Die Rüge der Verletzung des § 140 Abs. 2 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO wird aber auch dann berücksichtigt, wenn die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zwar nicht erfüllt sind, sich bei zugleich zulässig erhobener Sachrüge die die Verfahrensrüge ausfüllenden Tatsachen aber vollständig aus dem Urteilsinhalt ergeben (OLG Celle StRR 2012, 424).

II. Beiordnung gem. § 140 Abs. 1 StPO

Eine Beiordnung gem. § 140 Abs. 1 StPO ist in aller Regel unproblematisch, die Beiordnungsvoraussetzungen sind dort klar und abschließend geregelt. Erwähnenswert sind lediglich drei Punkte:

1. Vollzug der Untersuchungshaft

Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn gegen ihn Untersuchungshaft vollstreckt wird. Die Vorschrift setzt den Vollzug der Untersuchungshaft voraus und ist deshalb nicht einschlägig, wenn der Ermittlungsrichter den Haftbefehl unmittelbar nach der Ergreifung des Beschuldigten außer Vollzug setzt.

 

Hinweis:

In derartigen Fällen, insbesondere wenn im Haftbefehl – wie meist – auf eine erhebliche Straferwartung abgestellt wird, werden aber oftmals die Beiordnungsvoraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen (vgl. Burhoff, Handbuch EV, Rn. 2202).

Sind neben dem Verfahren, in dem die Untersuchungshaft angeordnet wurde, weitere Verfahren anhängig, so ist nach zutreffender h.M. auch dort ein Pflichtverteidiger zu bestellen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 19; LG Nürnberg-Fürth StV 2012, 658; a.A. Busch NStZ 2011, 663).

Wird der in Untersuchungshaft genommene Beschuldigte wieder aus der Haft entlassen, kann die Verteidigerbestellung aufgehoben werden, und zwar sowohl in dem Verfahren, in dem die Inhaftierung erfolgte, als auch in anderer Sache. Über eine Aufhebung muss ausdrücklich entschieden werden, eine Beschränkung der Bestellung "für die Dauer der Untersuchungshaft" ist unzulässig (OLG Hamburg StraFo 2015, 145).

Es besteht lediglich die Möglichkeit zur Aufhebung der Beiordnung, ein Automatismus besteht nicht. Vielmehr wird dem Gericht ein Ermessensspielraum eröffnet, in dessen Rahmen zu prüfen ist, ob die frühere, mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Beschuldigten in seinen Verteidigungsmöglichkeiten entfallen ist oder ob diese Einschränkung trotz der Haftentlassung fortbesteht und deshalb die weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erforderlich ist (OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653; LG Magdeburg StV 2015, 23).

Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass das Gericht zum einen darlegt, dass es sich seines Ermessensspielraums bewusst ist und zum anderen unter umfassender Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nachvollziehbare Erwägungen zu der Frage anstellt, ob die Einschränkungen der Verteidigungsmöglichkeiten fortbestehen oder nicht. Auch ist bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass die Möglichkeiten zur Rücknahme einer Pflichtverteidigerbestellung durch den Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes eingeschränkt sein können (vgl. OLG Stuttgart StV 1985, 140: anders nur bei wesentlicher Änderung der Sach- ...

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