Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn gegen ihn Untersuchungshaft vollstreckt wird. Die Vorschrift setzt den Vollzug der Untersuchungshaft voraus und ist deshalb nicht einschlägig, wenn der Ermittlungsrichter den Haftbefehl unmittelbar nach der Ergreifung des Beschuldigten außer Vollzug setzt.

 

Hinweis:

In derartigen Fällen, insbesondere wenn im Haftbefehl – wie meist – auf eine erhebliche Straferwartung abgestellt wird, werden aber oftmals die Beiordnungsvoraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen (vgl. Burhoff, Handbuch EV, Rn. 2202).

Sind neben dem Verfahren, in dem die Untersuchungshaft angeordnet wurde, weitere Verfahren anhängig, so ist nach zutreffender h.M. auch dort ein Pflichtverteidiger zu bestellen (OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 19; LG Nürnberg-Fürth StV 2012, 658; a.A. Busch NStZ 2011, 663).

Wird der in Untersuchungshaft genommene Beschuldigte wieder aus der Haft entlassen, kann die Verteidigerbestellung aufgehoben werden, und zwar sowohl in dem Verfahren, in dem die Inhaftierung erfolgte, als auch in anderer Sache. Über eine Aufhebung muss ausdrücklich entschieden werden, eine Beschränkung der Bestellung "für die Dauer der Untersuchungshaft" ist unzulässig (OLG Hamburg StraFo 2015, 145).

Es besteht lediglich die Möglichkeit zur Aufhebung der Beiordnung, ein Automatismus besteht nicht. Vielmehr wird dem Gericht ein Ermessensspielraum eröffnet, in dessen Rahmen zu prüfen ist, ob die frühere, mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Beschuldigten in seinen Verteidigungsmöglichkeiten entfallen ist oder ob diese Einschränkung trotz der Haftentlassung fortbesteht und deshalb die weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erforderlich ist (OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653; LG Magdeburg StV 2015, 23).

Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass das Gericht zum einen darlegt, dass es sich seines Ermessensspielraums bewusst ist und zum anderen unter umfassender Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nachvollziehbare Erwägungen zu der Frage anstellt, ob die Einschränkungen der Verteidigungsmöglichkeiten fortbestehen oder nicht. Auch ist bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass die Möglichkeiten zur Rücknahme einer Pflichtverteidigerbestellung durch den Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes eingeschränkt sein können (vgl. OLG Stuttgart StV 1985, 140: anders nur bei wesentlicher Änderung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem ursprünglichen Verfahrensstand, der zur Beiordnung führte).

Dies wird oftmals zu einer erheblichen Reduzierung des Ermessensspielraums führen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O., wonach die Begründung der die Beiordnung aufhebenden Entscheidung erkennen lassen muss, dass ein Fortwirken der Behinderung der Verteidigung ausnahmsweise nicht mehr besteht).

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