Die richtige Abgrenzung zwischen (echter) freier Mitarbeit und Scheinselbstständigkeit ist in Deutschland keine Nebensächlichkeit. Bei falscher Einschätzung drohen hier sogar harte strafrechtliche Konsequenzen. Dies musste gerade wieder ein Rechtsanwalt erfahren, der vom LG Traunstein zu einer Freiheitsstrafe und zu hohen Geldleistungen verurteilt wurde. Auf den Fall hat auch die Bundesrechtsanwaltskammer aufmerksam gemacht und auf die Kriterien zu einer richtigen Abgrenzung hingewiesen.

Der Fall: Ein Rechtsanwalt hatte zwischen 2013 und 2017 zwölf Anwälte laut Vertrag als freie Mitarbeiter beschäftigt. Zwar sollten diese ihre Sozialabgaben selbst abführen. Auch konnten sie theoretisch eigenes Personal beschäftigen und selbst werben – doch diese Möglichkeiten bedurften aufgrund einer Zusatzvereinbarung seiner Zustimmung. Zudem waren die Anwälte weisungsgebunden hinsichtlich der zu bearbeitenden Fälle, Ort und Zeit der Tätigkeit. Am unternehmerischen Risiko und den Kosten für die Kanzleiinfrastruktur waren sie nicht beteiligt – stattdessen erhielten sie ein festes Jahreshonorar, das in Teilbeträgen abgerufen werden konnte. Das LG Traunstein hielt diese Rechtsanwälte für Scheinselbstständige und hat den Kollegen deshalb wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und daneben zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 EUR verurteilt. Zudem wurde die Einziehung der „Taterträge” i.H.v. rund 119.000 EUR angeordnet.

Der Fall kam am Ende zum BGH, der das Strafverfahren nutzte, um die Abgrenzung zwischen echter freier Mitarbeit und Scheinselbstständigkeit bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zu konkretisieren. Es komme auf das Gesamtbild der Arbeitsleistung an, so der Senat. Wenn wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit die bekannten Abgrenzungskriterien Weisungsgebundenheit und Eingliederung an Trennschärfe und Aussagekraft verlören, sei vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen (BGH, Urt. v. 8.3.2023 – 1 StR 188/22, s. ZAP EN-Nr. 357/2023).

Bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gelte für die erforderliche Abgrenzung nichts wesentlich Anderes als bei anderen Beschäftigten, führt der Senat in seiner auch für die amtliche Sammlung vorgesehenen Entscheidung aus. Zwar sei diese Berufsgruppe allein schon dadurch weniger von Weisungen abhängig, weil sie eine Dienstleistung höherer Art erbringe und der Arbeitsablauf deshalb eher durch „Sachzwänge” zeitlich und örtlich bestimmt werde. Gleiches gelte für das Kriterium der Eingliederung, weil auch freie Mitarbeitende sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können müssten.

Soweit aber die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlören, müsse i.R.d. notwendigen Gesamtbetrachtung den übrigen Merkmalen mehr Gewicht beigemessen werden. In diesen Fällen sei vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Insoweit sei v.a. entscheidend, ob die Tätigkeit mit einem – ggf. pauschalierten – Verlustrisiko belastet sei und deshalb einer Gewinnbeteiligung gleichkomme oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen sei.

Im konkreten Fall sprach die Tätigkeit der Anwälte laut BGH nach all diesen Kriterien in der Gesamtbetrachtung für eine Scheinselbstständigkeit: Das Jahresgehalt sei eine Gegenleistung für die gesamte Arbeitskraft gewesen. Die Tatsache, dass jegliche eigenständige Beschäftigung von Mitarbeitenden oder Werbung von der Zustimmung des Kanzleiinhabers abhängig gewesen seien, hebele die vermeintlichen Freiheiten wieder aus. Für eine Scheinselbstständigkeit sprächen auch das geringe unternehmerische Risiko sowie die fehlende Beteiligung an den Kosten für die Kanzleiinfrastruktur.

[Quellen: BGH/BRAK]

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