Ein enteignender Eingriff stellt eine unzumutbare Nebenfolge einer an sich rechtmäßigen Verwaltungsmaßnahme dar. Im Unterschied zum enteignungsgleichen Eingriff greift dieses Haftungsinstitut also bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln. Um in einem solchen Fall einen Entschädigungsanspruch zu begründen, müssen die Folgen der Maßnahme für den Betroffenen schwerwiegend und unzumutbar sein.

 

Aufbauschema:

Anspruchsgrundlage: gewohnheitsrechtlich anerkannt; allgemeiner Aufopferungsgedanke aus §§ 74, 75 EALR

  • Tatbestandliche Voraussetzungen

    • Betroffenheit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG
    • Unmittelbarer hoheitlicher Eingriff
    • Sonderopfer
    • Unzumutbarer Eingriff nach Art, Intensität und Ausmaß
    • Rechtsgedanke des § 906 BGB
    • Duldungspflichten bei überwiegendem öffentlichem Interesse
  • Rechtsfolgen

    • Entschädigung

a) Voraussetzungen

Das gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs teilt die historische Entwicklung des enteignungsgleichen Eingriffs. Mithin ist als Rechtsgrundlage der gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsgedanke aus dem allgemeinen Aufopferungsanspruch aus §§ 74, 75 EALR heranzuziehen. Bevor ein Entschädigungsanspruch aufgrund eines enteignenden Eingriffs zu prüfen ist, ist jedoch zu klären, ob dieser nicht durch Spezialvorschriften ausgeschlossen ist.

 

Beispiele:

Nach 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG kann der Betroffene eines Planfeststellungsbeschlusses Entschädigung verlangen, wenn seine Rechte nicht hinreichend in der Beschlussentscheidung geschützt werden können. Die Ausschlusswirkung des § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG erstreckt sich auch auf Entschädigungsansprüche wegen enteignenden Eingriffs.

Gleiches gilt für polizei- und ordnungsrechtliche Entschädigungsregelungen, die einem rechtmäßig in Anspruch genommenen Nichtstörer zugesprochen werden (z.B. § 39 Abs. 1a) OBG NRW).

Tatbestandlich wird im Gegensatz zum enteignungsgleichen Eingriff keine rechtswidrige Maßnahme verlangt. Vielmehr ist Ausgangspunkt ein an sich rechtmäßiges Verwaltungshandeln, welches allerdings im Rahmen einer atypischen, unbeabsichtigten Nebenfolge zu einem unmittelbaren Eingriff in eine Eigentumsposition führt. Für die Feststellung der Unmittelbarkeit ist die bloße Adäquanz nicht ausreichend. Vielmehr muss sich das dem Betroffenen auferlegte Sonderopfer aus der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme herleiten lassen und die durch das Verwaltungshandeln geschaffene Gefahrenlage muss in einer Weise zu den schädigenden Auswirkungen geführt haben, die für die konkrete Betätigung der Hoheitsgewalt typisch sind, um das Erfordernis der Unmittelbarkeit zu erfüllen.

 

Beispiel:

Von daher fehlt es an der Unmittelbarkeit, wenn ein Tatverdächtiger die Polizeibeamten, die ihn eingeholt haben, gegen einen parkenden Pkw stößt und dabei am Pkw ein Schaden entsteht. Ein solches Geschehen ist schon keine typische Folge einer vorläufigen Festnahme. Anders wäre die Sachlage, wenn der Tatverdächtigen auf der Motorhaube eines parkenden Fahrzeugs durch die Polizeibeamten fixiert wird und dadurch eine Beschädigung auftritt (OLG Hamm, Beschl. v. 2.2.2021 – I-22 U 201/20, MDR 2021, 816–817).

Da es an einem rechtswidrigen Handeln fehlt, muss das Sonderopfer besonders hergeleitet und begründet werden. Maßgeblich ist die konkrete Zumutbarkeit im Einzelfall. Die vorzunehmende Wertung kann sich am Rechtsgedanken des § 906 BGB orientieren.

 

Beispiel:

Dem Vermieter einer Wohnung steht für Schäden, die im Zuge einer rechtmäßigen Durchsuchung der Wohnung im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Mieter verursacht worden sind, grundsätzlich ein Anspruch aus enteignendem Eingriff zu. Es gehört weder zum allgemeinen Lebensrisiko noch stellt es ein freiwillig eingegangenes Risiko dar, wenn ein Vermieter eine Wohnung vermietet, ohne sich von der Strafgeneigtheit seines Mieters zu überzeugen. Ein Anspruch scheidet jedoch aus, wenn der Vermieter weiß beziehungsweise davon erfährt oder es sich ihm aufdrängen muss, dass die Wohnung für die Begehung von Straftaten, die Lagerung von Diebesgut oder von Drogen benutzt wird oder werden soll, und er gleichwohl den Mietvertrag abschließt oder von einem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht (BGH, Urt. v. 14.3.2013 – III ZR 253/12, BGHZ 197, 43–51).

Hat die Beeinträchtigung ihren Grund in der Sache selbst, scheidet der Anspruch aus. Ein Anspruchsausschluss über § 254 BGB analog (Vorrang des Primärrechtsschutzes) kommt regelmäßig deshalb nicht in Betracht, da das Verwaltungshandeln im Ausgangspunkt rechtmäßig ist.

b) Rechtsfolgen

Als Rechtsfolge steht dem Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu, die mit einem Schadensersatz nicht deckungsgleich ist. Die Höhe der Entschädigung orientiert sich an dem Verkehrswert der entzogenen Substanz. Die Verjährung richtet sich nach §§ 194 ff. BGB.

c) Prozessuales

Da der Anspruch wegen enteignenden Eingriffs ebenfalls einen Aufopferungsanspruch darstellt, ist dieser vor den Zivilgerichten nach § 40 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fall 1 VwGO geltend zu machen. Beklagter ist der Hoheitsträger, der durch das hoheitliche Handeln begünstigt wird oder dess...

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