Mit der Punktereform, die am 1. Mai 2014 in Kraft trat, wollte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mehr Verkehrssicherheit und eine gerechtere Ahndung von Verkehrsverstößen erreichen (vgl. zu der Reform auch ausführlich Burhoff ZAP F. 9, S. 855 ff.). Jetzt, nach gut einem Jahr, hat die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltverein Bilanz gezogen. Dazu hat sie rund 6000 Mitglieder zu ihren Erfahrungen befragt, gut 130 von ihnen nahmen an der Erhebung teil. Das Ergebnis war deutlich: Fast 95 Prozent der befragten Kollegen waren der Meinung, dass das neue System nicht zu mehr Verkehrssicherheit geführt habe.

Die vorherrschende Meinung war, dass es Autofahrern nach der Reform leichter falle, sich einen Überblick über ihren aktuellen Punktestand zu verschaffen. Positiv bewertet wurde auch der Wegfall der Tilgungshemmung (d.h., dass die Löschungsfrist von Punkten sich nicht mehr durch Neueinträge verlängert). Zudem wurde in der Praxis festgestellt, dass Gerichte mit entsprechender Argumentation aktuell eher geneigt sind, Bußgelder auf 55 EUR abzusenken, also unter die Punkteeintragsgrenze von 60 EUR zu gehen.

Allerdings befürchten auch mehr als zwei Drittel der Befragten, dass es durch das neue System zu mehr Fahrerlaubnisentzügen infolge des Erreichens der Höchstpunktzahl kommt, die von 18 auf acht Punkte abgesenkt wurde. Dadurch seien insbesondere Vielfahrer benachteiligt. Durch die abgesenkte Höchstpunktzahlgrenze und den Umstand, dass viele Verstöße nach wie vor mit einem Punkt bestraft würden, vergrößere sich das Risiko, den Führerschein zu verlieren.

Kritisiert wurde zudem, dass im Vergleich zu früher weniger differenziert werde. So seien z.B. bisher ein Handyverstoß mit einem Punkt und fahrlässige Tötung mit Fahrverbot u.a. mit fünf Punkten sanktioniert worden. Nach der neuen Bewertung würde der unerlaubte Handygebrauch beim Fahren weiterhin mit einem Punkt, die fahrlässige Tötung mit Fahrverbot jedoch nur mit zwei Punkten geahndet.

Geteilte Meinungen gab es hinsichtlich des Aspekts der Neuregelung, dass Punkte nur noch für verkehrssicherheitsgefährdende Verstöße vergeben werden. Dies sei zwar positiv im Hinblick auf einfache Verstöße wie das Fahren ohne Umweltplakette oder das Missachten des Sonntagsfahrverbots. Bedenklich finden es viele jedoch bei Körperverletzungen oder Tötungsdelikten ohne Fahrverbot sowie Vollrausch ohne Entziehung der Fahrerlaubnis. Diese Verstöße sind nach dem Urteil der befragten Kollegen teilweise schwerwiegender als jene, die mit Punkten sanktioniert werden. "Vielen unserer Mitglieder fällt es schwer nachzuvollziehen, wieso z.B. eine vorsätzliche Körperverletzung im Straßenverkehr wie das Ohrfeigen eines anderen Autofahrers bei einem Parkplatzstreit nur deshalb nicht eingetragen werden soll, weil es gelungen ist, dafür zu sorgen, dass kein Fahrverbot verhängt wurde", so der DAV.

[Quelle: DAV]

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