aa) Bindung an strafgerichtliche Entscheidungen

Der Grundsatz, dass ein Kraftfahrer im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren den in rechtskräftigen Strafurteilen festgestellten Sachverhalt gegen sich gelten lassen muss, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen ergeben, bedeutet nicht die Anerkennung einer zuungunsten des Verurteilten bestehenden Feststellungswirkung solcher Strafurteile, sondern betrifft die Beweiswürdigung. Ist die uneingeschränkte Berufung des angeklagten Kraftfahrers gegen ein Strafurteil rechtskräftig durch Sachurteil als unbegründet verworfen worden, so sind für die Anwendung des vorgenannten Grundsatzes die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils maßgeblich (OVG Lüneburg DAR 2017, 159 = NZV 2017, 149 [Ternig]). Die Fahrerlaubnisbehörde ist mit Blick auf die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 StVG nicht gehindert, gem. § 13 S. 1 Nr. 2b FeV die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn in den Gründen des Strafurteils allein ausgeführt ist, das Gericht habe nicht positiv feststellen können, dass der Angeklagte zum Führen von Kfz noch ungeeignet ist (OVG Lüneburg DAR 2016, 602 = zfs 2016, 537). § 3 Abs. 4 S. 1 StVG ist nicht anwendbar, wenn die Straftat (z.B. Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB) auf einem Fahrrad begangen wurde. Ein Strafverfahren i.S.v. § 3 Abs. 3 und 4 StVG muss gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gerichtet sein. Nur dann kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht (vgl. § 3 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVG). § 69 Abs. 1 S. 1 StGB setzt eine rechtswidrige Tat voraus, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz oder unter Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers begangen wurde (OVG Berlin-Brandenburg NJW 2016, 3385 = zfs 2016, 597). Eine im Ausland begangene Alkoholfahrt kann die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung rechtfertigen. Das rechtskräftige ausländische Strafurteil als solches enthält für die Fahrerlaubnisbehörde keine bindende Feststellung dahingehend, dass die darin genannte Atemalkoholkonzentration vorgelegen hat (OVG Münster NJW 2017, 903 = NZV 2017, 100 [Koehl]).

Der Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils nach § 3 Abs. 4 S. 1 StVG, die die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens hindert, wird bei freiwilliger Vorlage des Gutachtens durch den Betroffenen überlagert. Denn das Ergebnis des vom Betroffenen offen gelegten Gutachtens ist eine neue Tatsache, die selbstständige Bedeutung hat und die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen kann (OVG Magdeburg NJW 2016, 3322 [Ls.]).

bb) Gutachtenanordnung

Werden die Bedenken gegen die Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers, die zu Recht zur Anordnung der Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens geführt haben (§ 11 Abs. 2 FeV), auch ohne die Vorlage des geforderten Gutachtens in sonstiger Weise vollständig und – auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar – eindeutig ausgeräumt, ist die Gutachtensbeibringungsanordnung aufzuheben, weil es dann einer medizinischen und/oder psychologischen Untersuchung und der Vorlage eines Fahreignungsgutachtens nicht mehr bedarf (VGH München NZV 2016, 599 = DAR 2017, 101 = zfs 2016, 295; zum unschlüssigen Gutachten OVG Münster NJW 2017, 283). Der Hinweis nach § 11 Abs. 8 S. 2 FeV, dass gem. § 11 Abs. 8 S. 1 FeV auf die Nichteignung zum Führen eines Kfz geschlossen werden darf, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, muss in der Gutachtenanordnung selbst enthalten sein. Die Nachholung des Hinweises nach § 11 Abs. 8 S. 2 FeV führt nicht zur Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung (OVG Koblenz NZV 2017, 55 [Hühnermann]; zur Verwaltungsgebühr für die Anordnung VGH Mannheim NZV 2017, 147 [Koehl]).

 

Hinweis:

Zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins nach Entziehung der Fahrerlaubnis s. Koehl (DAR 2016, 669).

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