Rz. 1050
Hat der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall Vermögenswerte verschenkt, kann dem Pflichtteilsberechtigten ein Pflichtteilsergänzungsanspruch[1607] zustehen. Dieser Anspruch besteht neben und unabhängig von dem Pflichtteilsanspruch.[1608] Soweit keine speziellen Regeln gelten, sind die Regelungen über den Pflichtteilsanspruch anwendbar.[1609]
Rz. 1051
§ 2325 BGB gilt nach seinem Wortlaut für "Schenkungen". Unzweifelhaft erfasst ist damit die Schenkung nach § 516 BGB. Nach Ansicht des BGH werden aber auch andere unentgeltliche Zuwendungen erfasst, etwa ehebezogene Zuwendungen unter Ehegatten[1610] sowie der unentgeltliche Teil von gemischten Schenkungen.[1611]
Rz. 1052
Die Vermögensausstattung von rechtsfähigen Stiftungen stellt dogmatisch keine Schenkung i. S. v. § 516 BGB dar, da es sich beim Stiftungsgeschäft um ein einseitiges, nicht empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft handelt. Gleichwohl sind nach ganz h. M. die §§ 2325, 2329 BGB entsprechend auf das Ausstattungsversprechen im Stiftungsgeschäft anzuwenden.[1612]
Rz. 1053
Bei treuhänderischen Stiftungen ist die Lage unklarer, wenn sie nicht im Wege der Auflagenschenkung errichtet werden. Bei der reinen Treuhandlösung liegt keine unentgeltliche Vermögensübertragung vor, da das Stiftungsvermögen wirtschaftlich weiterhin dem Stifter als Treugeber zugerechnet wird. Nach der hier vertretenen Auffassung[1613] ist jedoch von der endgültigen und auch unentgeltlichen Vermögensübertragung auszugehen, so dass die 10-Jahres-Frist mit der Vermögensübertragung an den Träger jedenfalls dann zu laufen beginnt, wenn vertraglich das Widerrufsrecht so weit wie möglich ausgeschlossen ist und für den Fall der Auflösung die Übertragung des Vermögens auf einen anderen Träger vorgesehen wird.
Rz. 1054
Nach allgemeiner Meinung sind auch auf Spenden und Zustiftungen die §§ 2325, 2329 BGB direkt oder entsprechend anzuwenden.[1614] Dabei spielt für die Anwendbarkeit der §§ 2325, 2329 BGB die Gemeinnützigkeit des Empfängers keine Rolle.[1615]
Rz. 1055
Die Höhe des Ergänzungsanspruchs entspricht der Differenz zwischen dem, was der Berechtigte tatsächlich erhalten hat, und dem Wert des Pflichtteils, den er ohne die Schenkung bekommen hätte. Der Wert der Schenkung wird für diese Berechnung dem Nachlass hinzugerechnet (fiktiver Nachlass). Maßgeblich ist dabei der Wert der Bereicherung des Beschenkten.[1616] Der zu berücksichtigende Betrag der Schenkung reduziert sich nach § 2325 Abs. 3 BGB allerdings jedes Jahr um ein Zehntel. Liegt die Schenkung zum Beispiel etwas mehr als fünf Jahre zurück, so wird der Wert der Schenkung nur zur Hälfte dem (fiktiven) Nachlass hinzugerechnet.
Rz. 1056
Der Anspruch aus § 2325 BGB richtet sich gegen den oder die Erben auf Zahlung.[1617] Soweit der Erbe jedoch nicht zur Zahlung verpflichtet ist, richtet sich der Anspruch nach § 2329 BGB direkt gegen den Beschenkten. Die Verpflichtung des Erben muss aus Rechtsgründen entfallen sein, etwa wegen einer zulässigen Haftungsbeschränkung oder wegen § 2328 BGB, nach dem der Erbe seinen eigenen Pflichtteil nicht herausgeben muss. Der Beschenkte hat das Erlangte nach Bereicherungsrecht herauszugeben. Der Anspruch richtet sich auf Duldung der Zwangsvollstreckung zum Zwecke der Befriedigung. Der Beschenkte kann den Anspruch aber durch Geldzahlung abwenden (§ 2329 Abs. 2 BGB).
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