Rechtskraft nein

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungszulassung. Bindung. Einzelrichter. Grundsätzliche. Bedeutung. Kammerprinzip. Übertragung. Eingliederungshilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmte Einzelrichter ist nicht „Verwaltungsgericht” im Sinne von § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2. Die vom Einzelrichter zugelassene Berufung bindet das Berufungsgericht nicht.

 

Normenkette

VwGO § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

VG Stuttgart (Urteil vom 27.01.2003; Aktenzeichen 8 K 1548/02)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Januar 2003 – 8 K 1548/02 – wird verworfen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Beklagte eine vom Arbeitgeber gezahlte Abfindung anrechnen und Eingliederungshilfe nur noch gegen Aufwendungsersatz leisten will.

Mit Beschluss vom 14.10.2002 hat die Kammer die Verwaltungsrechtssache dem Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen, weil diese keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Mit Verfügung vom 25.10.2002 bestimmte der Einzelrichter Termin zur mündlichen Verhandlung. Mit dem angegriffenen Urteil vom 27.01. 2003, dem Beklagten zugestellt am 11.02.2003, entsprach der Einzelrichter der Klage und ließ die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu. Von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob die Verwertung einer Abfindung eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG darstelle.

Der Beklagte hat am 28.02.2003 Berufung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 02.04.2003, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 07.04.2003, begründete. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 02.04.2003 und 22.08.2003 Bezug genommen. Der Beklagte hält die Zulassung der Berufung durch den Einzelrichter für zulässig; jedenfalls sei die erfolgte Zulassung bindend. Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.01.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen;

hilfsweise,

die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen.

Der Kläger ist der Berufung entgegen getreten.

Er hält die Berufung für unzulässig; jedenfalls für unbegründet. Der Einzelrichter sei nicht zur Zulassung der Berufung befugt gewesen; insoweit verweist der Kläger auch auf die Neuregelung der zivilprozessualen Vorschriften durch das ZPO-RG. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 01.09.2003 Bezug genommen. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide zutreffend als rechtswidrig erachtet. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz vom 20.05.2003 verwiesen. Für eine Zulassung der Berufung durch den Senat sei kein Raum, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung aufweise.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die in der Sache angefallenen Gerichtsakten sowie die dem Senat vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat kann die Berufung durch Beschluss verwerfen, weil sie unzulässig ist (§ 125 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwGO). Die Beteiligten wurden hierzu gehört.

1. Die Berufung ist nicht statthaft, weil sie nicht wirksam zugelassen worden ist. Denn „das Verwaltungsgericht” im Sinne des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist nicht der nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmte Einzelrichter (unten a). Die Übertragung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf den Einzelrichter umfasst nicht die Befugnis zur Berufungszulassung (unten b). Diese Auslegung von § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO führt nicht zu unzumutbaren Anforderungen an den Einzelrichter (unten c); sie führt auch nicht zu einer unzumutbaren Erschwerung des Zugangs der Beteiligten zum Rechtsmittelgericht (unten d).

a) Seit Inkrafttreten des 6. VwGOÄndG ist die Berufung gegen Urteile des Verwaltungsgerichts nur mehr statthaft, wenn sie zuvor zugelassen worden ist. Die Befugnis zur Zulassung der Berufung stand zunächst nur dem Oberverwaltungsgericht zu (§ 124 a Abs. 2 VwGO a.F.). Durch Art. 1 Nr. 14 des RmBereinVpG vom 20.12.2001 (BGBl I S. 3987) wurde § 124a VwGO dahin geändert, dass nunmehr auch das Verwaltungsgericht zur Zulassung der Berufung befugt ist, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach Überzeugung des Senats eröffnet § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO diese Möglichkeit aber nicht dem nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmten Einzelrichter. Dies folgt zwar nicht allein aus dem Wortlaut des § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO, der auch einer anderen Auslegung zugänglich wäre, wohl aber aus einer systematischen Gesamtschau, die das Verhältnis der Kammer zur Tätigkeit des Einzelrichters in den Blick zu nehmen hat.

aa) Der Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (BT-Drs. 14/6393) sah einen neu gefassten § 124 a vor, nach dessen Abs. 1 Satz 1 das Verwaltungsgericht die Berufung i...

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