Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 26.01.2006; Aktenzeichen 1 BvQ 3/06)

Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 24.01.2006; Aktenzeichen 11 ME 20/06)

 

Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen ein Versammlungsverbot.

Der Antragsteller meldete am 13. Januar 2006 – modifiziert mit Anmeldung vom 16. Januar 2006 – eine Versammlung mit Aufzug an, die am Sonnabend, dem 28. Januar 2006, in Lüneburg stattfinden soll. Die Versammlung mit erwarteten 200 Teilnehmern soll von 12:00–18:00 Uhr abgehalten werden, zwischen Auftakt- und Abschlusskundgebung ist ein Umzug durch die Straßen der Stadt geplant. Die Demonstration soll unter dem Thema stehen „Keine Demonstrationsverbote – Meinungsfreiheit erkämpfen”, und es sollen Lautsprecherwagen, Handmegafone, Fahnen und Transparente an Stangen mitgeführt werden.

Mit Verfügung vom 19. Januar 2006 erließ die Stadt Lüneburg als Antragsgegnerin eine Verbotsverfügung und ordnete die sofortige Vollziehung des Verbotes an: Entgegen der Angabe des Antragstellers gehe es bei der Veranstaltung um das Motto, § 130 StGB abzuschaffen. Damit sei es Zweck, die Öffentlichkeit und speziell ausländische Mitbürger zu provozieren. Eine Versammlung am 28. Januar widerspreche dem Sinngehalt des Gedenktages vom 27. Januar, der für die Opfer des Nationalsozialismus begangen werde. Da Informationsstände und eine Demonstration anlässlich des 61. Jahrstages der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz genehmigt worden seien, würde die Versammlung des Antragstellers eine erhebliche Provokation mit sich bringen. Es müsse mit Gegenprovokationen und Gewalt gerechnet werden, zumal auch eine Großdemonstration von bis zu 3.000 Teilnehmern zum Motto „Kein Naziaufmarsch in Lüneburg” stattfinden solle. Damit sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet.

Der Antragsteller hat daraufhin am 19. Januar 2006 Klage erhoben und gleichzeitig vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz begehrt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann keinen Erfolg haben.

Der ist nach § 80 VwGO zulässig.

Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung, so dass er in seiner Vollziehbarkeit gehemmt ist. Die Vollzugshemmung bedeutet, dass aus den Regelungen des Verwaltungsaktes während dieser Zeit keine rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen, dass der Bescheid vorläufig nicht zwangsweise durchgesetzt werden darf. Ein Verwaltungsakt darf jedoch trotz einer eingelegten Klage etwa dann sofort vollzogen werden, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders anordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO). So ist es hier: Die Antragsgegnerin hat die Verbotsverfügung für sofort vollziehbar erklärt. Das Gericht kann aber – wie es hier beantragt worden ist – auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht im Hinblick auf den Sofortvollzug eine eigene Ermessensentscheidung aufgrund der beiderseitigen Interessen zu treffen. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, überwiegt das Interesse des Rechtsschutzsuchenden am Aufschub des Vollzuges, weil am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein öffentliches Interesse nicht besteht. Ist der angefochtene Verwaltungsakt demgegenüber offensichtlich rechtmäßig und besteht ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

Hiervon ausgehend kann der bei Gericht gestellte Antrag keinen Erfolg haben. Denn die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin ist offensichtlich rechtmäßig (1.), und am Sofortvollzug der Verbotsverfügung besteht ein besonderes öffentliches Interesse (2.).

1. Das durch die Antragsgegnerin geregelte Versammlungsverbot ist offensichtlich rechtmäßig. Es findet seine Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz.

a) Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen.

Die Frage, ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist, unterliegt als polizeiliche Gefahrenprognose einer vollständigen gerichtlich...

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