Leitsatz

Es liegt kein Insich-Prozess vor, wenn eine Verwalterin namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen sich selbst klagt.

 

Normenkette

§ 50 ZPO

 

Das Problem

  1. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer macht gegen Bauträger B einen Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung und Schadensersatz geltend.

    § 637 BGB. Selbstvornahme

    (1) Der Besteller kann wegen eines Mangels des Werkes nach erfolglosem Ablauf einer von ihm zur Nacherfüllung bestimmten angemessenen Frist den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn nicht der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigert.

    (2) § 323 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. Der Bestimmung einer Frist bedarf es auch dann nicht, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder dem Besteller unzumutbar ist.

    (3) Der Besteller kann von dem Unternehmer für die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen Vorschuss verlangen.

  2. B meint, die Klage sei unzulässig. Es stehe nicht fest, dass ein wirksamer Beschluss über die Geltendmachung der Mängelrechte durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einerseits und zur Einreichung der Klage andererseits vorliege. Selbst wenn in Beschlüssen vom März 2008 oder Juli 2011 eine Vergemeinschaftung zu sehen sei, läge darin nicht die Genehmigung etwaiger früherer diesbezüglicher Handlungen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bzw. der Verwalterin. Es handle sich zudem um einen unzulässigen Insich-Prozess. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer könne sich nicht durch den Bauträger B, der ihr Verwalter sei, vertreten lassen.
  3. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hält die Klage für zulässig. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei parteifähig. Die Klageerhebung sei durch die Wohnungseigentümer beschlossen worden. Der Verwalter erfülle insoweit lediglich eine ihm obliegende Verbindlichkeit. § 181 BGB sei nicht anwendbar.

    § 181 BGB.

    Ein Vertreter kann, soweit nicht ein anderes ihm gestattet ist, im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen, es sei denn, dass das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht.

    Die Wohnungseigentümer hätten ihre Mängelrechte bereits im Juni 2002 vergemeinschaftet. Am 9. Juni 2008 hätten die Wohnungseigentümer dann beschlossen, einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung ihrer Interessen unter Einleitung eines Beweissicherungsverfahrens oder einer Klage zu beauftragen. Im Juli 2011 habe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer den Verwalter ermächtigt, über die jetzigen Prozessbevollmächtigten eine Vorschussklage einzureichen. Die Beschlüsse seien ordnungsgemäß ergangen und seien nicht angefochten worden.

 

Die Entscheidung

  1. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei prozessführungsbefugt. Rechtsträger der Nacherfüllungs- und Mängelansprüche auch in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum sei zwar grundsätzlich der einzelne Erwerber, da sein Erwerbsvertrag die Grundlage dieser Ansprüche sei (Hinweis auf BGH v. 12.4.2007, VII ZR 236/05, BGHZ 172 S. 42). Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer könne aber im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der auf die ordnungsgemäße Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums gerichteten Rechte der einzelnen Erwerber aus den Verträgen mit dem Veräußerer durch Beschluss "an sich ziehen" und damit ihre alleinige Zuständigkeit begründen. Im Gerichtsverfahren trete die Gemeinschaft als gesetzlicher Prozessstandschafter auf (Hinweis auf BGH v. 12.4.2007, VII ZR 236/05, BGHZ 172 S. 42, BGH v. 15.10.2010, V ZR 80/09, Rn. 13). Im Fall habe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die gerichtliche Geltendmachung der Mängelbeseitigungsansprüche mit Beschluss vom 9. Juni 2008 "an sich gezogen", was auch für einen Mängelbeseitigungsanspruch vor Abnahme möglich sei. Es sei beschlossen worden,

    "einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung ihrer Interessen, Einleitung eines Beweissicherungsverfahrens oder einer Klage, in Bezug auf die Mängelbeseitigung an der Fassade zu beauftragen."

    Die Verwalterin V sei mit Beschluss der vom 20. Juli 2011 zur gewillkürten Vertreterin für den vorliegenden Prozess bestellt worden (§ 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG).

  2. Es liege kein "Insich-Prozess" vor. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Klägerin und die Bauträgerin als Beklagte seien nicht personenidentisch. Allerdings sei der Bauträger personenidentisch mit der Verwalterin, auch wenn es sich dabei jeweils um unterschiedliche Abteilungen derselben juristischen Person handle. Dies sei aber nicht erheblich. Zwar werde ein Fall ausgeschlossener Vertretung angenommen, wenn der gesetzliche Vertreter einer Partei und die Gegenpartei identisch seien (Hinweis auf BGH v. 11.12.1995, II ZR 220/94, NJW 1996 S. 658). Dieser Ausschluss beruhe jedoch auf der besonderen Bedeutung, die nach der Zivilprozessordnung dem gesetzlichen Vertreter einer prozessunfähigen Partei zukomme, und gelte nicht für andere Vertreter.
  3. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. In der Abn...

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