Leitsatz

Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine Vermietung von Grundstücken und die mit dieser Vermietung zusammenhängenden Dienstleistungen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer eine einheitliche Leistung darstellen können. Dabei ist die dem Vermieter im Mietvertrag eingeräumte Möglichkeit, diesen Vertrag zu kündigen, falls der Mieter das Dienstleistungsentgelt nicht zahlt, ein Hinweis, der für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spricht, auch wenn es sich nicht notwendigerweise um den für die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Leistung entscheidenden Faktor handelt. Der Umstand hingegen, dass Dienstleistungen wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, grundsätzlich von einem Dritten erbracht werden könnten, lässt nicht den Schluss zu, dass diese unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nicht eine einheitliche Leistung darstellen können. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu ermitteln, ob die betreffenden Umsätze im Licht der vom Gerichtshof im vorliegenden Urteil gegebenen Auslegungshinweise und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieser Rechtssache so sehr miteinander zusammenhängen, dass sie als eine einheitliche Leistung der Vermietung von Grundstücken zu betrachten sind.

 

Normenkette

Art. 135 und 137 6. EG-RL, § 4 Nr. 12, § 9 Abs. 1 UStG

 

Sachverhalt

FFW hatte für die mietweise Überlassung der Geschäftsräume nach dem Mietvertrag – getrennt aufgezählt – ein Entgelt für den Besitz an den Räumen zu zahlen sowie den Anteil der Versicherung und von Dienstleistungen des Vermieters (Wasser, Heizung, Reparaturen der Infrastruktur (z.B. Aufzug), Reinigung der Gemeinschaftsräume sowie Sicherheit des Gebäudes. Der Vermieter konnte kündigen, wenn dieses Entgelt nicht bezahlt wurde. Obwohl der Vermieter nicht zur Steuerpflicht optiert und keine USt ausgewiesen hatte, begehrte FFW den Vorsteuerabzug hinsichtlich der Dienstleistungen.

 

Entscheidung

Aufgrund der Vorlagefrage ging der EuGH nicht auf die fehlende Rechnung ein und hat auch die Vorlagefrage ausdrücklich nicht beantwortet. Gleichwohl: Dass die üblichen Nebenleistungen, die ein Vermieter i.d.R. als Nebenkosten abrechnen kann, keine dienende Funktion zur Überlassung der Mietsache haben, dürfte danach schwer zu begründen sein.

 

Hinweis

Im Zusammenhang mit konkreten Vorlagefragen ist der EuGH immer wieder gezwungen, sich zur Frage zu äußern, ob eine einheitliche Leistung vorliegt oder nicht. Diese meist sachverhaltsbezogenen Aussagen führen – wie z.B. das Urteil Tellmer Property (Vermietung und Reinigung der Gemeinschaftsräume: einheitliche oder getrennte Leistung) zeigt – oft zu neuen Abgrenzungsproblemen und Vorlagen. Obwohl es auch im Besprechungsfall um eine Raummiete und die Reinigung von Gemeinschaftsräumen geht, erwähnt der EuGH diese Entscheidung nicht nur nicht, sondern betont: "Es gibt jedoch für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung aus mehrwertsteuerlicher Sicht keine Regel mit absoluter Geltung; daher sind für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung die Gesamtumstände zu berücksichtigen." Weiter erteilt er dem in Tellmer Property tragenden Argument, gegen eine einheitliche Leistung spreche, dass die Leistungen auch von einem Dritten erbracht werden könnten, ohne das Urteil zu zitieren, unter Hinweis auf eine andere Entscheidung eine eindeutige Absage.

Alle Argumente, die für eine einheitliche Leistung sprechen können, werden gleich wieder relativiert. Zu berücksichtigen sind also: Der Vertragsinhalt, die Wirklichkeitsferne einer Aufspaltung, die akzessorische Bedeutung einer Leistung, die Künstlichkeit der gewollten vertraglichen Verknüpfung einer steuerpflichtigen Leistung mit einer steuerfreien Leistung.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 27.09.2012, C-392/11

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