Rz. 443

Wird die satzungsmäßige Vermögensbindung aufgehoben oder verletzt, gilt sie von Anfang an als steuerlich nicht ausreichend und die Steuervergünstigung entfällt rückwirkend für sämtliche Steuern von Anfang an (§ 61 Abs. 3 AO).[646] Allerdings liegt eine Satzungsänderung erst dann vor, wenn das Änderungsverfahren durch die Eintragung der Satzungsänderung in das Handels- bzw. Vereinsregister oder durch die Genehmigung der Stiftungsbehörde abgeschlossen ist. Der bloße Beschluss über die Satzungsänderung oder die Stellung des Eintragungsantrags reichen zum Verlust der Steuerbegünstigung noch nicht. Bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens gilt also noch die frühere Satzungsbestimmung.[647] Wenden die Organe der Körperschaft die Bestimmung über die Vermögensbindung jedoch schon vor Eintragung der Änderung nicht mehr an, so liegt darin ebenfalls ein Verstoß gegen den Grundsatz der Vermögensbindung, der den rückwirkenden Verlust der Steuervergünstigung nach sich ziehen kann.[648]

 

Rz. 444

Die Änderung einer Bestimmung über die Vermögensbindung wird verfahrensrechtlich wie ein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) behandelt, jedoch mit der Maßgabe, dass die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO) im Fall einer Aufhebung der satzungsmäßigen Vermögensbindung keinen Schutz bietet. Steuerbescheide können erlassen, aufgehoben oder geändert werden für Steuern, die innerhalb von zehn Jahren vor der erstmaligen Verletzung der Vermögensbindungsregelung entstanden sind (§ 61 Abs. 3 S. 2 AO). Diese Regelung gilt sogar dann, wenn die Bestimmung über die Vermögensbindung erst zu einem Zeitpunkt geändert wird, in dem die Körperschaft nicht mehr als steuerbegünstigt anerkannt ist oder der Körperschaft in letzter Zeit keine Erträge mehr zugeflossen sind.[649]

 

Rz. 445

Die rückwirkende Aufhebung der Steuerbegünstigung hat die nachfolgenden Konsequenzen:[650]

  • "nachträgliche" Besteuerung der Überschüsse aus der Vermögensverwaltung (z. B. Miet- und Zinseinkünfte entsprechend den Regelungen der §§ 20 und 21 EStG);
  • "nachträgliche" Besteuerung der Gewinne aus den bislang als Zweckbetriebe steuerfrei gestellten wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben;
  • körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Nachversteuerung von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben in Fällen, in denen wegen Unterschreitens der Besteuerungsgrenze des § 64 Abs. 3 AO keine Steuern anfielen;
  • nachträgliches Entfallen des begünstigten Umsatzsteuersatzes (zurzeit 7 %, § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG) für Umsätze im Bereich der Vermögensverwaltung und der Zweckbetriebe und Unterwerfung unter den Regelsteuersatz von 19 %. Nacherhebung der Umsatzsteuer bei bislang umsatzsteuerfrei vereinnahmten Umsätzen;
  • Möglichkeit der nachträglichen Steuerbelastung von Spenden und Zustiftungen, die zunächst nicht der Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer unterlagen (§ 13 Abs. 1 Nr. 16b ErbStG);
  • Wegfall der Berechtigung zum Empfang steuerlich abzugsfähiger Spenden, u. U. Entstehen einer Haftungsverpflichtung wegen fehlverwendeter Spenden nach Maßgabe der § 10b Abs. 4 EStG, § 9 Abs. 3 KStG;
  • ggf. Rückforderung von Zuschüssen, die seinerzeit aufgrund der Steuerbegünstigung erlangt wurden.
 
Hinweis

Zinsen bei Nachversteuerung

Der Nachversteuerungsbetrag ist nicht zu verzinsen. Das ergibt sich daraus, dass es sich bei der Aufhebung der Vermögensbindung um ein rückwirkendes Ereignis handelt (§§ 61 Abs. 3, 175 Abs. 1 Nr. 2 AO), für das der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eingetreten ist, beginnt (vgl. § 233a Abs. 2a AO). Da zur Frage der Verzinsung keine gefestigte Verwaltungspraxis besteht, ist eine abweichende Entscheidung der Finanzbehörden nicht ausgeschlossen.

Angesichts dieser Konsequenzen sind die Stiftungsorgane gut beraten, die steuerlichen Auswirkungen von beabsichtigten Satzungsänderungen vorab zu prüfen, um nicht versehentlich die Steuerbefreiung zu gefährden. Gravierende Satzungsänderungen sind überdies dem Finanzamt innerhalb eines Monats seit dem meldepflichtigen Ereignis anzuzeigen (§ 137 AO). Dazu zählen die Änderung der Rechtsform, die Verlegung der Geschäftsleitung oder des Sitzes.

 
Praxis-Beispiel

Rückwirkende Besteuerung wegen Satzungsänderung

Eine gemeinnützige Stiftungs-gGmbH hat in den Jahren 2009 bis 2012 steuerfreie Einnahmen aus einem Zweckbetrieb bezogen und diese teils für gemeinnützige Zwecke ausgegeben, teils in zulässige Rücklagen eingestellt. Eine im Jahre 2012 durchgeführte Satzungsänderung sieht jetzt vor, dass bei Auflösung der Körperschaft das Vermögen an die Gesellschafter ausgekehrt wird. Das Finanzamt muss für die Veranlagungszeiträume 2009 bis 2012 neue Steuerbescheide erlassen, die die Nachversteuerung aller genannten Einnahmen vorsehen. Dabei ist es unerheblich, ob die Einnahmen noch im Vermögen der Körperschaft vorhanden sind.

 

Rz. 446

Die Nachversteuerung greift nicht nur bei gemeinnützigkeitsschädlichen Satzungsänderungen in Bezug auf die Vermögensbindung ein, sondern erfasst auch die Fälle, in denen die tatsächliche Geschäfts...

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