Formelle Satzungsmäßigkeit und Vermögensbindung

Eine Satzung genügt nur dann dem Grundsatz der satzungsmäßigen Vermögensbindung (§§ 61 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 4 AO), wenn sie auch eine ausdrückliche Regelung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Körperschaft enthält.

Hintergrund: Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen

Streitig war die formelle Satzungsmäßigkeit des Gesellschaftsvertrages der C-GmbH, deren Gegenstand die gemeindepsychiatrische Versorgung eines Kreises ist. 

In 2014 teilte das FA der GmbH mit, der Gesellschaftsvertrag aus 2012 entspreche nicht den gesetzlichen Voraussetzungen. Es bat, die gemeinnützigen Zwecke (wörtlich) zu benennen. In 2015 beschlossen die Gesellschafter eine Neufassung, wobei zwar Regelungen zur Vermögensbindung im Fall der Auflösung enthalten waren, nicht aber - wie schon in der Fassung aus 2012 - bei Zweckwegfall. Das FA beanstandete auch die Neufassung und schlug u.a. – erstmals - vor, auch die Regelung zur Auflösung der Gesellschaft an die Mustersatzung anzupassen.

In 2016 lehnte das FA die Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen ab, weil der verfolgte Zweck und die Art der Verwirklichung nicht genau bestimmt seien. Da eine Beanstandung des Vertrages erstmalig im Jahr 2014 erfolgt sei, sei eine Steuerbegünstigung aus Vertrauensschutzgesichtspunkten erst ab 2015 zu versagen.

Der dagegen erhobenen Klage gab das FG statt. Der Gesellschaftsvertrag halte aufgrund einer Auslegung seiner Bestimmungen die satzungsmäßigen Voraussetzungen ein. Die Satzung müsse die in § 52 Abs. 2 AO enthaltenen Zwecke nicht ausdrücklich dem Wortlaut nach wiederholen. Bei der Änderung im Jahr 2012 habe nicht die gesamte Satzung in Übereinstimmung mit der Mustersatzung gebracht werden müssen. Zudem genüge der Gesellschaftsvertrag angesichts der gewollten und zuvor zuerkannten Steuerbegünstigung den Anforderungen der satzungsmäßigen Vermögensbindung.

Entscheidung: Die Vermögensbindung muss bei Wegfall des bisherigen Zwecks genau bestimmt sein

Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Der Gesellschaftsvertrag in der Fassung aus 2015 genügt nicht den Anforderungen an die satzungsmäßige Vermögensbindung. Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nicht zu berücksichtigen. Die formelle Satzungsmäßigkeit des Gesellschaftsvertrages in der Fassung aus 2012 ist nicht Verfahrensgegenstand.

Lückenhafter Gesellschaftsvertrag

Nach § 61 Abs. 1 AO liegt eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) vor, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt ist, dass aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist. Diesen Anforderungen an die satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 61 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) genügt die Satzung aus 2015 nicht. Denn in dem Vertrag fehlen ausdrückliche Bestimmungen der Vermögensbindung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der GmbH.

Keine Auslegung der Satzung bei fehlender Angabe des Verwendungszwecks

Ist der Wegfall des bisherigen Zwecks als Voraussetzung des Vermögensanfalls überhaupt nicht erwähnt, ist eine Auslegung der Satzung in der Weise, dass die Regelung zu einer anderen Art des Vermögensanfalls auf den Wegfall des bisherigen Zwecks zu übertragen ist, nicht möglich (BFH v. 23.7.2009, V R 20/08, BStBl II 2010, 719). Die vorherige Handhabung der Beteiligten kann nicht zur Auslegung der satzungsmäßigen Vermögensbindung herangezogen werden. Denn Regelungen über die Vermögensbindung bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks müssen in der Satzung selbst getroffen werden. Die Berücksichtigung außerhalb der Satzung liegender Begleitumstände oder des nicht in der Satzung manifestierten Willens der Mitglieder würde dem Gebot des Buchnachweises widersprechen (BFH v. 7.2.2018, V B 119/17, BFH/NV 2018, 544). Sinn und Zweck der satzungsmäßigen Vermögensbindung ist, dass (ausschließlich) aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist und satzungsmäßig die Bindung des steuerbegünstigt gebildeten Vermögens im Dritten Sektor gewährleistet bleibt.

Keine Berufung auf Vertrauensschutz

Die Regelungen zu § 60a Abs. 3 bis 5 AO sind auf den hier vorliegenden Fall des erstmaligen Erlasses eines negativen Feststellungsbescheids nicht anwendbar, da sie einen bereits erlassenen Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO voraussetzen (BFH v. 23.7.2020, V R 40/18, BStBl II 2021, 3).

Keine analoge Anwendung von § 60a Abs. 5 AO

Eine erkennbar planwidrige Regelungslücke liegt nach den Wertungen des § 60a AO, insbesondere seiner Entstehungsgeschichte, im Hinblick auf die negative erstmalige Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nicht vor. Der Erlass eines erstmaligen negativen Feststellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 AO ist dem früheren Verfahren bei erstmaliger Versagung der Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren vergleichbar. Nach der Rechtsprechung gab es in diesen Fällen für den jeweiligen Veranlagungszeitraum keinen Vertrauensschutz (BFH v. 25.10.2000, I B 117/00, BFH/NV 2001, 470). Ein bisher nicht bestehender Vertrauensschutz kann ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung – wie es § 60a Abs. 5 AO für die Aufhebung bereits erlassener Feststellungsbescheide vorsieht – nicht begründet werden. Bestätigt wird dies durch § 60a Abs. 2 AO, wonach die Feststellung auf Antrag oder von Amts wegen bei der Veranlagung zur KSt erfolgt, wenn bisher noch keine Feststellung erfolgt ist.

Hinweis: Keine Entscheidung über die Satzungsmäßigkeit des Vertrags aus 2012

Diese Satzung war nicht Verfahrensgegenstand. Das FA hat über einen diesbezüglichen Antrag auf Feststellung der Satzungsmäßigkeit nicht entschieden. Der angefochtene Bescheid betrifft ausdrücklich nur die Satzung aus 2015, nicht auch die in der Fassung aus 2012.

Nicht entschiedene Fragen

Über die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen, ob der Gesellschaftsvertrag die in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke wörtlich übernehmen muss und ob bei einer Satzungsänderung die gesamte Satzung in Übereinstimmung mit der Mustersatzung zu bringen ist, war somit im Streitfall nicht zu entscheiden. Auch die Frage, ob eine wörtliche Übernahme der in der Mustersatzung (Anlage zu § 60 AO) getroffenen Festlegungen erforderlich ist, ist offen geblieben. Allerdings dürfte sich für die Praxis empfehlen, sich in der Neuformulierung der Satzung soweit wie möglich an der Mustersatzung zu orientieren

BFH Urteil vom 26.08.2021 - V R 11/20 (veröffentlicht am 03.02.2022)

Alle am 03.02.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.

Schlagworte zum Thema:  Abgabenordnung, Gemeinnützigkeit, Satzung