Rz. 323

Die Gemeinnützigkeit setzt die "Förderung der Allgemeinheit" voraus (§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine Tätigkeit fördert die Allgemeinheit, wenn sie im Interesse der Allgemeinheit liegt. Was genau ein Allgemeininteresse ausmacht, ist jedoch angesichts der individualistischen Prägung unserer Gesellschaft schwer zu ermitteln. Der Bundesfinanzhof hat hierzu dargelegt, dass es nicht allein auf die Anschauung der Bevölkerung bzw. einer Bevölkerungsmehrheit ankommen kann.[398] Vielmehr werde der Begriff der Allgemeinheit wesentlich durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck komme, geprägt.[399] So ist z. B. ein Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, dass Gebiete außerhalb des Staatsgebiets Teil von Deutschland werden, nicht mehr gemeinnützig, nachdem das Grundgesetz durch Art. 4 EinV in der Präambel und in Art. 23 und 146 geändert wurde.[400] Auch extremistische Einrichtungen aller politischen Strömungen vertreten keine Interessen der Allgemeinheit. Dementsprechend schließt § 51 Abs. 3 AO solche Vereinigungen generell von den Steuervergünstigungen wegen Gemeinnützigkeit aus.[401]

 

Rz. 324

Allein das Einnehmen eines kritischen Standpunktes gegenüber dem Staat hingegen schließt die Förderung der Allgemeinheit nicht aus. So steht etwa die Förderung des Umweltschutzes gelegentlich im Widerspruch zu staatlichen Bauvorhaben, ohne dass das Allgemeininteresse am Umweltschutz infrage gestellt würde.[402]

 

Rz. 325

Angesichts der Differenziertheit der vertretenen Anschauungen ist es durchaus denkbar, dass verschiedene Körperschaften als gemeinnützig anerkannt werden können, obwohl sie mit der Förderung gemeinnütziger Zwecke, wie z. B. Forschung, konträre Ziele verfolgen, wie z. B. Kernkraftbefürworter oder Kernkraftgegner.[403]

 

Rz. 326

Art und Maß der Zweckverfolgung sind (abgesehen von einem Verstoß gegen die Voraussetzungen der Selbstlosigkeit, Unmittelbarkeit und Ausschließlichkeit) der als gemeinnützig anerkannten Einrichtung überlassen, wenn der satzungsmäßige Zweck als gemeinnützig anzuerkennen ist. Das gilt auch dann, wenn objektiv oder nach der Vorstellung der Bevölkerung unterschiedliche Beurteilungen möglich oder sogar naheliegend sind.[404] Ob die Art und Weise der Zweckverfolgung gegen geltendes Recht verstößt, ist nicht eine Frage des Gemeinnützigkeitsrechts, sondern des jeweils betroffenen Rechtsgebietes, etwa des Tierschutzrechts, Polizei- und Ordnungsrechts oder des Stiftungsaufsichtsrechts.[405]

 

Rz. 327

Die Tätigkeit der Körperschaft muss auf die Förderung der Allgemeinheit gerichtet sein. Dies muss und kann jedoch nicht stets die ganze Allgemeinheit sein, sondern es reicht die Förderung jedes nicht abgeschlossenen Ausschnitts aus ihr aus.[406] Die Allgemeinheit wird nicht gefördert, wenn der Kreis der Personen fest abgeschlossen ist, weil er z. B. die Zugehörigkeit zu einer Familie (Familienstiftung)[407] oder zur Belegschaft eines Unternehmens voraussetzt oder der Kreis infolge seiner Abgrenzung, z. B. nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann (§ 52 Abs. 1 Satz 2 AO). Das Gesetz definiert den Begriff der Allgemeinheit damit negativ.

 

Rz. 328

Die Zugehörigkeit der geförderten Personen zur Belegschaft eines Unternehmens steht der Gemeinnützigkeit im engeren Sinne des § 52 AO entgegen. Nach richtiger Auffassung gilt diese Begrenzung jedoch nicht für die Mildtätigkeit gem. § 53 AO, soweit die dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen der Bedürftigkeit erfüllt sind.[408] Die Förderung der Mitglieder eines Vereins im Rahmen der Satzung ist regelmäßig steuerunschädlich, wenn die Mitglieder als Ausschnitt der Allgemeinheit gefördert werden, oder wenn die Mitgliedschaft für die Allgemeinheit zugänglich ist. Zuwendungen an Mitglieder sind hingegen steuerschädlich.[409]

 

Rz. 329

Die Anzahl der Personen, die die Förderungsvoraussetzungen erfüllen, darf sehr klein sein, wenn der Kreis der grundsätzlich angesprochenen Personen nicht abgeschlossen ist. Hierbei kommt es vor allem darauf an, ob die Stiftung auf die Zusammensetzung des förderungswürdigen Personenkreises Einfluss nehmen kann oder nicht.[410] Wenn der Personenkreis nach allgemeinen Kriterien festgelegt ist, die außerhalb der Sphäre der Stiftung angesiedelt sind, soll eine Förderung der Allgemeinheit auch dann vorliegen, wenn der potenzielle Kreis förderungswürdiger Personen zahlenmäßig klein ist. So hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass eine Beschränkung der Förderung auf junge Schweizer, vorzugsweise aus Bern, keine schädliche Einschränkung darstelle.[411] Eine Stadt "mit immerhin rund 125.000 Einwohnern" sei ein weitgesteckter Personenkreis, der nicht auf Dauer "klein" sei. Nach Ansicht des BFH ist es nicht notwendig, dass sich die Förderung auf die gesamte Bevölkerung eines Landes oder einer Großstadt erstreckt. Ohnehin ist die Zahl der potenziell förderbaren Personen nicht allein maßgebend. So kann eine Förderung der Allgemeinheit auch vorliegen, wenn eine Körpers...

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