Rz. 1056

Die im November 2005 durch das UMAG in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eingefügte – vom US-amerikanischen Recht übernommene – "Business Judgement Rule" gibt rechtliche Vorgaben dafür, unter welchen Voraussetzungen haftungsausschließendes pflichtkonformes Verhalten des Vorstandes einer Aktiengesellschaft vorliegt. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bestimmt:

Zitat

Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Trotz fehlender Regelung im GmbHG ist die Business Judgement Rule nach allgemeiner Auffassung entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die Geschäftsführer einer GmbH anzuwenden.[1] Nach § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 116 Satz 1 AktG gilt diese Bestimmung sinngemäß auch für (fakultative) Aufsichtsratsmitglieder sowie für Mitglieder eines aufsichtsratsähnlichen Beirats.

 

Rz. 1057

Liegen die Tatbestandsmerkmale der Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vor, wird pflichtgemäßes Handeln unwiderleglich vermutet.[2] Liegen sie nicht vor, steht damit (haftungsbegründendes) pflichtwidriges Verhalten zwar noch nicht fest.[3] Das Organmitglied, das den Test der Business Judgement Rule nicht besteht, muss jedoch im Streitfall in vollem Umfang nachweisen, dass es seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat.[4]

 

Rz. 1058

Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn die nachfolgend näher dargelegten Tatbestandsmerkmale der Business Judgement Rule erfüllt sind:

  • es muss sich um eine unternehmerische Entscheidung (und nicht um eine Pflichtentscheidung) handeln,
  • die Entscheidung muss auf der Grundlage angemessener Informationen erfolgen,
  • die Handlung muss dem Wohle der Gesellschaft dienen,
  • die Handlung darf nicht Sonderinteressen dienen und
  • die handelnden Organe müssen hinsichtlich der ersten vier Tatbestandsmerkmale gutgläubig sein.
[1] Buck-Heeb, in Gehrlein/Born/Simon, § 43 Rn. 24; Zöllner/Noack, in Baumbach/­Hueck, § 43 Rn. 22; Hauschka, GmbHR 2007, S. 11, 12 m. w. N.; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 43 Rn. 23 m. w. N.
[2] Koch, in Hüffer/Koch AktG, § 93 Rn. 14.
[3] A. A. Scholz, AG 2015, S. 222, 227.
[4] Hauschka, GmbHR 2007, S. 11, 12 m. w. N.

5.1.2.1 Unternehmerische Entscheidung

 

Rz. 1059

Die Business Judgement Rule findet ausschließlich auf unternehmerische Entscheidungen von Anwendung. Nach der Regierungsbegründung zum UMAG[1] soll hierdurch das Handlungs- und Entscheidungsermessen des Vorstands (hier: der Geschäftsführer) geschützt werden. Die Vorschrift findet daher keine Anwendung, wo kein derartiges Ermessen besteht, also bei allen Entscheidungen und Handlungen, die durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Geschäftsordnung, Vertrag oder Beschluss der Gesellschaftsorgane vorgegeben sind ("Pflichtentscheidungen").[2]

 

Pflichtentscheidung

Entsprechend § 91 Abs. 2 AktG[3] muss die Geschäftsführung ein "Überwachungssystem" einrichten, "damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entscheidungen" rechtzeitig erkannt und verhindert oder korrigiert werden. Das "Ob" der Einführung eines Überwachungssystems ist damit Pflichtentscheidung, die nicht der Business Judgement Rule zugänglich ist. Die Festlegung der Einzelmaßnahmen des Überwachungssystems ist dagegen Gegenstand des unternehmerischen Entscheidungsermessens des Vorstands und damit nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG haftungsrechtlich privilegiert.[4]

 

Rz. 1060

Nichtstun ist nur dann nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG privilegiert, wenn die Untätigkeit, also das Unterlassen einer Handlung, auf einer bewussten Entscheidung beruht. Schlichte Untätigkeit ist nicht privilegiert.[5]

 

Sorgfältige Dokumentation

Geschäftsführer, Aufsichtsräte und Beiräte sollten ihre Entscheidungen sorgfältig dokumentieren. Dies gilt für die Entscheidung, nichts zu tun, ebenso wie für die Entscheidung, tätig zu werden. Auch die Erwägungen und Gründe, die zu der jeweiligen Entscheidung geführt haben, sollten dokumentiert werden. Im Rechtsstreit kann ein derartiges Dokument "kriegsentscheidend" sein.

[1] RegBegr. BR-Drucks. 3/05, S. 18.
[2] Buck-Heeb, in Gehrlein/Born/Simon, § 43 Rn. 24a.; Hauschka, GmbHR 2007, S. 11, 12 f.
[3] Zur analogen Anwendung des § 91 Abs. 2 AktG auf die GmbH (eine solche bejahend): Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 41 Rn. 15; Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 35 Rn. 33; wohl auch Terlau, in Römermann, MAH-GmbH-Recht, § 10 Rn. 69 f; a. A.: Fleischer, in MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 61.
[4] Hauschka, GmbHR 2007, S. 11, 12 f. m.w. Beispielen.
[5] Hauschka, GmbHR 2007, S. 11, 14.

5.1.2.2 Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen

 

Rz. 1061

Ermessensfehlerfreie Entscheidungen setzen stets eine ausreichende ("angemessene") Informationsbasis voraus. "Angemessen" ist insoweit "alles, was für die zutreffende Entscheidung notwendig oder wesentlich ist."[1] Vorhandenes Wissen und Erfahrungen sowie verfügbare Informationsquellen müssen genutzt und ausgeschöpft werden. Erforderlichenfalls müssen externe Berater eingeschaltet und/oder besondere Recherchen angestellt werden. Der BGH[2] stellt strenge Anforde...

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