Leitsatz

  1. Unrichtige Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter
  2. Konstitutive Entscheidung des Gerichts (ohne inhaltliche Prüfung des festgestellten Beschlusses von Amts wegen)
 

Normenkette

§§ 23 ff. WEG; § 256 ZPO

 

Kommentar

  1. Wohnungseigentümer können bei unrichtiger Feststellung eines Beschlusses durch den Versammlungsleiter (hier: einer Antragsablehnung im Sinne eines Negativbeschlusses) die eigentlich zutreffende Feststellung analog § 256 Abs. 1 ZPO gerichtlich entscheiden lassen (hier: tatsächlich mehrheitlich gefasster positiver Beschluss).
  2. Einen allein ordnungswidrig zustande gekommenen Beschluss (hier: wegen eines nicht berücksichtigten Stimmrechtsausschlusses) hat das Gericht antragsgemäß festzustellen. Bei dem die (falsche) Feststellung des Versammlungsleiters ersetzenden Gerichtsbeschluss handelt es sich um eine ebenfalls konstitutive Voraussetzung für das rechtswirksame Zustandekommen eines Beschlusses.
  3. Zeitlich vor der gerichtlichen Feststellung gibt es keinen Beschluss, den das Gericht auf seine Wirksamkeit hin überprüfen könnte. Dem Gericht ist es nicht gestattet, im WEG-Verfahren als echtem Streitverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit von sich aus einen Beschluss auch auf seine inhaltliche (materiell-rechtliche) Ordnungsmäßigkeit hin zu überprüfen.
  4. Für die Feststellung eines nichtigen Beschlusses gibt es allerdings kein Rechtsschutzbedürfnis.
  5. Nochmals: Auch bei Negativbeschlüssen besteht eine Anfechtungsberechtigung (h.R.M.). Mit der Anfechtung kann auch ein Antrag auf Feststellung des wirklich gefassten, aber vom Versammlungsleiter nicht festgestellten Beschlussinhalts verbunden werden (analog § 256 Abs. 1 ZPO). Hat der Verwalter zu Unrecht einen Negativbeschluss festgestellt (Antragsablehnung), lautet der Feststellungsantrag, dass entgegen der Verkündung des Verwalters ein Antrag mehrheitlich angenommen wurde. Einer solchen Gerichtsentscheidung steht nicht entgegen, dass ein Beschluss ggf. inhaltlich nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Einen nichtigen Beschluss könne das Gericht allerdings nicht feststellen, da es hierfür kein Rechtsschutzbedürfnis gebe.
  6. Allerdings muss ein Gericht nicht allein einen nur ordnungsgemäßen Beschluss feststellen (a.A. Müller, NZM 2003, 222, 226). Zeitlich vor einer konstitutiven Feststellung eines Beschlussergebnisses durch das Gericht kann es nämlich keinen Beschluss geben, den das Gericht auf seine Wirksamkeit hin überprüfen könnte. Jeder anfechtbare (jedoch nicht nichtige) Beschluss kann i. Ü. jederzeit in Bestandskraft erwachsen. Dagegen darf weder ein Versammlungsleiter noch ein Gericht verstoßen. Dass dieses Vorgehen nicht verfahrensökonomisch ist, muss hingenommen werden. Erkennt ein Gericht, dass ein von ihm festgestellter Beschluss seiner Ansicht nach inhaltlich nicht ordnungsgemäß ist, kann und muss es hierauf nach § 139 ZPO analog hinweisen. Wird dann ein so festgestellter Beschluss angefochten, wird das Gericht zwar nochmals befasst; diese mögliche "Zusatzbelastung" muss allerdings ebenfalls akzeptiert werden und ist die rechtliche Folge, dass der Feststellung und Bekanntgabe von Beschlussergebnissen konstitutive Bedeutung zukommt. Wollen Eigentümer einen nicht ordnungsmäßigen Beschluss für sich und nach eigener Wertung akzeptieren und den Verwalter zur Durchführung anweisen, wäre ihnen bei einer anderen Lösung der Weg hierfür versperrt.
 

Link zur Entscheidung

AG Berlin-Neukölln, Beschluss vom 22.02.2005, 70 II 134/04 WEGAG Neukölln v. 22.2.2005, 70 II 134/04 WEG, ZMR 4/2005, 317

Anmerkung

Diese Auffassung des AG (mitgeteilt von Elzer) entspricht auch meiner im Anschluss an die BGH-Entscheidung v. 23.8.2001 (V ZB 10/01, ZMR 2001, 809 = ZWE 2001, 530 = ETW, Gr. 2, S. 4780 mit Anm.) geäußerten Meinung ("Konsequenzen der BGH-Entscheidung vom 23.8.2001 in der Wohnungseigentumspraxis", ZMR 3/2003, 153 (157 f.), vgl. dort auch Fn. 31). Ein solcher Feststellungsantrag auf richterliche Bestätigung eines positiven Beschlusses (in Korrektur der falschen Entscheidung des Versammlungsleiters) hat m. E. auch einen anderen Streitgegenstand als ein Anfechtungsverfahren eines solchen Beschlusses mit weitergehender inhaltlicher Überprüfung(spflicht) des positiven Beschlussinhalts. Ohne eigenständige Anträge kann auch bei bestehender Amtsermittlung nicht im Feststellungsverfahren bereits eine materiell-rechtliche Inhaltsprüfung über die Gültigkeit eines festgestellten positiven Beschlusses erfolgen. Insoweit existieren heute viele Beschlüsse, die inhaltlich anfechtbar gewesen wären, jedoch nicht angefochten und damit als sog. Zitterbeschlüsse bestandskräftig und allgemein verbindlich wurden. Ob insoweit ein Gericht bei einem festzustellenden positiven Beschluss sogar Hinweise geben dürfte und evtl. sogar müsste, dass ein solcher Beschluss ggf. erfolgreich anfechtbar wäre (innerhalb Monatsfrist ab rechtskräftiger Gerichtsentscheidung), erscheint mir allerdings fraglich im Sinne einer doch wohl etwas zu weitgehenden "Rechtsberatung" durch das Gericht. Für Ve...

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