a) Anerkennungsvoraussetzungen

 

Rz. 108

Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen ist im Kapitel XI IPRG geregelt. Die Struktur dieser Vorschriften ist wie folgt:

Titel 38 (§§ 109–112 IPRG) regelt die allgemeinen Anerkennungsvoraussetzungen;
Titel 39 (§§ 113–115 IPRG) enthält die besonderen Anerkennungsvoraussetzungen für vermögensrechtliche Entscheidungen,
Titel 40 (§§ 116–212 IPRG) enthält dagegen die besonderen Anerkennungsvoraussetzungen für Entscheidungen in familienrechtlichen und Personenstandsangelegenheiten.
 

Rz. 109

Was die allgemeinen Voraussetzungen betrifft, wird eine ausländische Entscheidung anerkannt, wenn das ausländische erkennende Gericht aus ungarischer Sicht international zuständig war (indirekte Zuständigkeit), die Entscheidung nach dem Verfahrensrecht des Erststaates rechtskräftig geworden ist und kein Verweigerungsgrund[99] vorliegt.

 

Rz. 110

In Angelegenheiten betreffend die Ehewirkungen (persönliche und güterrechtliche Verhältnisse der Ehegatten) können aus ungarischer Sicht dieselben Zuständigkeitsgründe die internationale Zuständigkeit ausländischer Gerichte begründen, die gemäß § 102 IPRG auch die internationale Zuständigkeit ungarischer Gerichte begründen; d.h. die in § 102 vorgesehenen direkten Zuständigkeitsgründe (Rdn 104 ff.) werden – spiegelbildlich – auch als indirekte Zuständigkeitsvorschriften angewendet. Zu bemerken ist immerhin, dass gemäß § 88 lit a) eine ausschließliche internationale Zuständigkeit der ungarischen Gerichte bzw. Behörden für alle Verfahren vorgesehen ist, die dingliche Rechtsverhältnisse an einer in Ungarn belegenen unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben. Die ausländische ehegüterrechtliche Entscheidung wird daher in Ungarn nicht anerkannt, wenn sie die dinglichen Rechtsverhältnisse an einer ungarischen Immobilie betrifft, selbst wenn das Erstgericht gemäß § 102 IPRG indirekt zuständig wäre.

 

Rz. 111

Die Verbürgung der Gegenseitigkeit mit dem Erststaat ist als Anerkennungsvoraussetzung nur bezüglich der vom Titel 40 erfassten ausländischen Entscheidungen (vermögensrechtliche Entscheidungen) vorgesehen. Diese Voraussetzung gilt jedoch nicht für die in familienrechtlichen und Personenstandsangelegenheiten erlassenen ausländischen Entscheidungen, auch nicht für diejenigen familienrechtlichen Entscheidungen, die vermögensrechtliche Ansprüche betreffen (Ehegüterrecht, Unterhalt).[100]

 

Rz. 112

Die oben dargestellten Anerkennungsvoraussetzungen sind auch für Entscheidungen aus den EU-Mitgliedstaaten anzuwenden, da Ungarn kein Teilnehmerstaat der EUGüVO ist. Die meisten bilateralen Rechtshilfeabkommen von Ungarn enthalten Bestimmungen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen.[101]

[99] Die Verweigerungsgründe sind gemäß § 109 Abs. (4) IPRG wie folgt: Verstoß gegen die ungarische öffentliche Ordnung; Nichtbeachtung der Verteidigungsrechte des Beklagten; frühere Rechtshängigkeit vor einem ungarischen Gericht wegen desselben Rechts aus dem gleichen tatsächlichen Grund zwischen denselben Parteien; frühere rechtskräftige Entscheidung eines ungarischen Gerichts betreffend dasselbe Recht aus dem gleichen tatsächlichen Grund zwischen denselben Parteien; frühere rechtskräftige Entscheidung des Gerichts eines anderen ausländischen Staates betreffend dasselbe Recht aus dem gleichen tatsächlichen Grund zwischen denselben Parteien, falls diese Entscheidung in Ungarn anerkennungsfähig ist.
[100] Das Ehegüterrecht und die familienrechtlichen Unterhaltsansprüche sind im Anwendungsbereich des IPRG von Bereich der (sonstigen) vermögensrechtlichen Angelegenheiten ausgeklammert.
[101] Solche Bestimmungen sind in den in Fn 95 aufgezählten Abkommen aufzufinden, sowie in den Rechtshilfeabkommen mit Algerien (in Familiensachen nur bezüglich vermögensrechtlicher Ansprüche), Ägypten, Frankreich, dem Irak (in Familiensachen nur bezüglich vermögensrechtlicher Ansprüche), der Mongolei, Syrien, Tunesien, Ukraine, VR China und Vietnam. Die letzteren Abkommen enthalten keine direkten Zuständigkeitsvorschriften, regeln jedoch die Anerkennung von Entscheidungen in Zivilsachen.

b) Anerkennungsverfahren

 

Rz. 113

Ein besonderes gerichtliches Anerkennungsverfahren ist zwar möglich,[102] jedoch nicht obligatorisch. Es gilt der Grundsatz der ipso iure Anerkennung.[103] Die Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung wird vom Gericht bzw. der sonstigen Behörde selbst geprüft, in dessen bzw. deren Verfahren die Frage der inländischen Rechtswirkungen der ausländischen Entscheidung auftaucht. Eine ausländische Entscheidung kann erst dann vollstreckt werden, wenn sie für das Inland in einem besonderen Exequaturverfahren für vollstreckbar erklärt wurde. Das dreistufige Exequaturverfahren (Verfahren erster Instanz, Berufungsverfahren, Revision), das nach dem Vorbild der früheren Brüsseler Übereinkommen von 1968 ausgestaltet wurde, wird in §§ 205 ff. des Zwangsvollstreckungsgesetzes (Vht.)[104] geregelt.

[102] § 122 Abs. (2) IPRG.
[103] § 122 Abs. (1) IPRG.
[104] Gesetz Nr. LIII vom Jahre 1994 über die gerichtliche Zwangsvo...

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