Sachverhalt

Bei den verbundenen Verfahren ging es - ähnlich wie in den Fällen des EuGH-Urteils vom 12.1.2006 (EuGH, Urteil v. 12.1.2006, C-354/03, C-355/03 und C-484/03 (Optigen Ltd (C-354/03), Fulcrum Electronics Ltd (C-355/03), Bond House Systems Ltd (C-484/03)) - um die Frage, ob der Vorsteuerabzug auf eine Eingangslieferung mit der Begründung versagt werden kann, dass der Erwerber sich in einem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell befunden hat. Ausgangsfrage war, ob aufgrund einer nationalen Norm, nach der Verträge mit rechtswidrigem Grund (z.B. Manipulationen mit dem Ziel einer Mehrwertsteuerhinterziehung), unheilbar nichtig sind, zur Versagung des Vorsteuerabzugs auf der Seite des Abnehmers einer Lieferung führen können. Das Vorlagegericht unterschied hierbei nach zwei Fällen, nämlich dass der Erwerber gutgläubig handelt (Rechtssache C-440/04), und dass der Erwerber an der Steuerhinterziehung beteiligt ist (z.B. durch mehrfache Scheinerwerbe der gleichen Ware mit dem Ziel, entsprechende Vorsteuerguthaben zu erzielen, Rechtssache C-439/04).

 

Entscheidung

Die Frage bezogen auf den ersten Fall des gutgläubigen Erwerbs hatte der EuGH bereits in seinem Urteil vom 12.1.2006 beantwortet. Dort ging es um eine Lieferung/Erwerb innerhalb eines Umsatzsteuerkarussells, die/der selbst nicht betrügerisch war. Die Steuerhinterziehung hatte auf einer Vorstufe in der Lieferkette stattgefunden. Der EuGH hatte dazu entschieden, dass bei Umsätzen, die nicht selbst mit Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, Lieferungen eines Unternehmers i.S.v. Artikel 2 Nr. 1 iVm Artikel 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie und auch eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit i.S.v. Artikel 4 der Richtlinie darstellen, wenn die Umsätze die objektiven Kriterien der wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. des Lieferbegriffs erfüllen. Es kommt für den Vorsteuerabzug eines gutgläubigen Erwerbers auf die Absicht eines anderen Unternehmers in der Lieferkette (den der betroffene Unternehmer weder kannte noch kennen konnte), Umsatzsteuerbetrügereinen zu begehen, nicht an. Das Vorsteuerabzugsrecht des betroffenen Unternehmers, der Umsätze in einer Lieferkette ausführt, wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette ein anderer Umsatz, der dem vom betroffenen Unternehmer getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist, ohne dass der betroffene Unternehmer hiervon Kenntnis hat oder haben kann.

Diesen Grundsatz lässt der EuGH mit der jetzigen Entscheidung auch dann gelten, wenn mit der Lieferung an den gutgläubigen Erwerber selbst Mehrwertsteuer hinterzogen wird, also die Hinterziehung nicht lediglich auf einer vorangegangenen Handelsstufe stattfindet. Der Gerichtshof verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach der Neutralitätsgrundsatz der Mehrwertsteuer eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften verbietet. Somit führt eine strafbare Handlung nicht ohne weiteres dazu, dass der fragliche Umsatz nicht steuerbar ist. Dies ist nur in spezifischen Situationen der Fall, in denen wegen der besonderen Eigenschaften bestimmter Waren oder bestimmter Dienstleistungen jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist (vgl. u. a. EuGH, Urteil v. 29.6.1999, C-158/98, Coffeeshop "Siberië"). Dies war in den Ausgangsverfahren nicht der Fall.

Allerdings, so der EuGH, ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt. Er wiederholt die Feststellung in seinem Urteil vom 21.2.2006, C-255/02 (Halifax u.a.), dass die objektiven Kriterien, auf denen der Begriff der Lieferungsbegriff und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen, nicht erfüllt sind, wenn der Unternehmer selbst eine Steuerhinterziehung begeht Auch erinnert der EuGH an seine ständige Rechtsprechung, wonach die Finanzverwaltung, wenn sie feststellt, dass der Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise ausgeübt wurde, befugt ist, rückwirkend die Zahlung der abgezogenen Beträge zu verlangen (vgl. u. a. EuGH, Urteil v. 29.2.1996, C-110/94, INZO).

Vor diesem Hintergrund ist nach der jetzigen Entscheidung ein Unternehmer, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, für Zwecke der 6. EG-Richtlinie als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen. Dies gilt unabhängig davon, ob er aus dem Weiterverkauf der erworbenen Gegenstände einen Gewinn erzielt oder nicht. In einer solchen Situation, so der EuGH, gehe der Steuerpflichtige den Urhebern der Hinterziehung zur Hand und mache sich mitschuldig. Demnach kann der Vorsteuerabzug verweigert werden, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. Das gilt auch dann, wenn der betreffende Umsatz die objektiven Kriterien der wirtschaftlich...

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