Rz. 13

Das türkische materielle Zivilrecht ist vom schweizerischen Recht geprägt. Nach der Gründung der türkischen Republik (1923) hat die Türkei einen wichtigen Rezeptionsprozess in ihrem Rechtssystem erlebt. Anstelle des bisher gültigen islamischen Rechts (Scharia) wurde ein neues Rechtssystem geschaffen, mit dem man den neuen Entwicklungen in der Welt besser Rechnung tragen wollte.[28] Im Rahmen der Reformen Mustafa Kemals (Atatürk) war das schweizerische ZGB a.F. ins Türkische übersetzt und im Wesentlichen inhaltlich unverändert in Kraft gesetzt worden.[29] Ähnlich wie 1988 in der Schweiz erfolgte 1990 in der Türkei eine Gesetzesänderung, mit der der Nießbrauch des Ehegatten am Nachlass abgeschafft und durch eine Erbquote ersetzt wurde.[30] Der türkische Gesetzgeber hat am 22.11.2001 ein neues Zivilgesetzbuch verabschiedet, welches das bislang gültige türkische ZGB reformiert und gleichzeitig die bisherige Systematik mit einigen kleinen Ausnahmen beibehält. Das neue Recht trat am 1.1.2002 in Kraft.[31]

 

Rz. 14

Die Verwirklichung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und der Schutz der Kinder bilden die Hauptachse der Gesetzesreform. Dabei fanden die "Konvention zur Abschaffung aller Diskriminierungen gegen Frauen"[32] vom 3.9.1981, die seit dem 14.11.1985 als innerstaatliches Recht der Türkei gilt,[33] und das "Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption" vom 29.5.1993 Berücksichtigung.[34]

 

Rz. 15

Die verfassungsmäßige Erbrechtsgarantie des Art. 35 Abs. 1 türk. Verfassung (ähnlich wie Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) gewährleistet das Erbrecht als Rechtsinstitut und als Individualrecht. Grundlegend für sie ist die Anerkennung der Privaterbfolge.[35]

[28] Für eine kurze Ausführung der Geschichte des türkischen ZGB siehe Hirsch, Türkisches Recht vor deutschen Gerichten, 1981, S. 7–9. Zur Gleichberechtigung von Mann und Frau siehe Kilic, Die Reform im türkischen Familienrecht bahnt den Weg zur Gleichberechtigung, FamRZ 1993, 1282 ff.
[29] Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 175 f. Die weitgehende Überstimmung der Texte ermöglichte es sogar, im Länderteil "Türkei" in Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, von einem Abdruck des überwiegenden Teils des Gesetzes abzusehen und sich unter Verweisung auf das schweizerische ZGB im Übrigen auf Hinweise zur unterschiedlichen Nummerierung von Artikeln und Absätzen sowie inhaltlich abweichender Regelungen zu beschränken.
[30] Hierzu Serozan, ZEV 1997, 474.
[31] Veröffentlicht am 8.12.2001 im türkischen Amtsblatt (Resmi Gazete-Nr. 24607) mit der Gesetznummer 4721 und trat gem. Art. 1029 türkZGB am 1.1.2002 in Kraft. Für die Übersetzung des familienrechtlichen Teils ins Deutsche siehe Rumpf/Odendahl, StAZ 2002 100 ff. und auszugsweise Übersetzung des erbrechtlichen Teils ins Deutsche Rumpf, RNotZ 2003, 372 ff.
[32] "Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women", in: General Assembly-Official Records: Thirty-Fourth Session Supplement No. 46 (A/34/46), United Nation, New York, 1980, S. 193–198.
[33] Mit der Veröffentlichung im türkischen Amtsblatt (Nr. 18898) vom 14.10.1985 trat diese Konvention in der Türkei in Kraft. Das türkische Außenministerium hat sich mit einem Antrag (Nr. CTUK 721.701.30–220) bei der UNO gemeldet, nachdem durch ein Bestätigungsgesetz (Nr. 3232) diese Konvention für die Türkei verbindlich wurde.
[34] Vorwort des Justizministers der Republik Türkei Herrn Hikmet Sami Türk, Türk Medeni Kanunu Tasarisi ve TMKnin yürürlügü ve uygulama sekli hakkinda kanun tasarisi, T.C. Adalet Bakanligi, Ankara 1999, S. VII; Allgemeine Begründung des Gesetzes: Kilicoglu, Edinilmis Mallara Katilma Rejimi, Ankara 2002, S. 4.
[35] Antalya, Miras Hukuku (= Erbrecht), 2003, S. 8; Ayan, Miras Hukuku (= Erbrecht), 2014, S. 7 f.; Dural/Öz, Miras Hukuku Dersleri (= Erbrechtsvorlesungen), Istanbul 2001, S. 3. Vgl. BVerfGE 67, 329, 340 = FamRZ 1985, 256; BVerfGE 91, 346, 358 = FamRZ 1995, 405.

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