1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschriften über den organisatorischen Teil der Betriebsverfassung, d. h. die organisatorische Ausgestaltung der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, sind grundsätzlich zwingend und einer Abänderung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung nicht zugänglich, es sei denn das Gesetz eröffnet ausdrücklich eine solche Möglichkeit (BAG, Beschluss v. 10.11.2004, 7 ABR 17/04.[1] Bereits das Betriebsrätegesetz 1920 sowie das BetrVG 1952 als auch das BetrVG 1972 kannten die Möglichkeit der Veränderung der Organisationsstruktur durch Tarifverträge. Der Umfang der Öffnung zugunsten von Tarifverträgen war jedoch seit jeher begrenzt.[2]

 

Rz. 2

Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 BetrVG 1972 bedurften zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der obersten Arbeitsbehörde des Landes oder gegebenenfalls der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, § 3 Abs. 2 BetrVG 1972. Auf dieses, aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingende Erfordernis, verzichtet das nunmehr geltende Recht in verfassungsrechtlich höchst bedenklicher Weise.[3]

 

Rz. 3

Durch die Öffnung des zwingenden betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts auch zugunsten von Betriebsvereinbarungen, trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass die Flexibilisierung des starren Organisationsrechts auch den unmittelbar Betroffenen, nämlich den Betriebsräten zumindest in Teilbereichen eröffnet wird

Durch einen Tarifvertrag kann aber keine vom Betriebsverfassungsgesetz abweichende Zuständigkeit für die Ausübung von Beteiligungsrechten bestimmt werden. Eine solche Regelungsbefugnis ist von der in § 3 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Öffnungsklausel nicht umfasst.

Die Vorschrift eröffnet den Tarifvertragsparteien nur eine vom Betriebsverfassungsgesetz abweichende Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen. Die tarifliche Regelungsbefugnis umfasst aber nicht den Entzug betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse der gewählten Betriebsräte und deren Zuweisung an die durch Tarifvertrag bestimmten Organisationseinheiten. Dies folgt aus § 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 Alt. 1 BetrVG (BAG, Beschluss v. 18.11.2014, 1 ABR 21/13, Rz. 27).

Die vereinbarten Tarifnormen gelten auch für die Arbeitnehmer, die nicht Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft sind (BAG, Beschluss v. 18.11.2014, 1 ABR 21/13, Rz. 25 – 26).

Endet aufgrund einer Neuwahl das Amt eines – auch nach § 3 BetrVG gewillkürten – Betriebsrats, wird nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundgedanken der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen der neu gewählte Betriebsrat Funktionsnachfolger seines Vorgängers. Dies gilt sowohl im Falle der gesetzlichen als auch bei einer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gewillkürten Betriebsverfassungsstruktur. Die nach Abschluss, Änderung oder Ende eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG über eine gewillkürte Betriebsverfassungsstruktur neu gewählten Betriebsräte treten jeweils die Funktionsnachfolge der Betriebsräte an, die diese Einheiten zuvor repräsentiert haben. Voraussetzung für eine Funktionsnachfolge ist allerdings, dass die vor und nach der Änderung von den Betriebsräten jeweils repräsentierten organisatorischen Einheiten zuverlässig voneinander abgegrenzt werden können (vgl. BAG, Beschluss v. 24.8.2011, 7 ABR 8/10 , Rz. 15). Im Zeitraum zwischen der mit Inkrafttreten des Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG einhergehenden Änderung der Betriebsverfassungsstrukturen und der Errichtung des neuen Betriebsrats führt dessen Vorgänger die Geschäfte nach Maßgabe der §§ 21a, 21b BetrVG weiter. Diese sind im Bereich gewillkürter Betriebsverfassungsstrukturen anwendbar. Das zeigt § 3 Abs. 5 BetrVG (BAG, Beschluss v. 22.8.2017, 1 ABR 52/14, Rz. 13).

Das Arbeitsverhältnis eines Mitglieds einer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gebildeten Arbeitnehmervertretung kann gemäß § 15 Abs. 4 KSchG ordentlich gekündigt werden, wenn das Betriebsratsmitglied in einem Betrieb i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beschäftigt ist und dieser stillgelegt wird (BAG, Urteil v. 27.6.2019, 2 AZR 38/19).

Für eine Massenentlassungsanzeige ist nicht die gewillkürte Betriebsverfassungsstruktur maßgeblich, sondern der Betriebsbegriff, der sich aus § 17 KSchG ergibt. Der Betriebsbegriff des Massenentlassungsrechts ist ein unionsrechtlicher Begriff. Er ist in der Unionsrechtsordnung autonom, einheitlich und losgelöst vom nationalen Begriffsverständnis auszulegen. Die Betriebsbegriffe des KSchG oder des BetrVG sind in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich (BAG, Urteil v. 13.2.2020, 6 AZR 146/19).

Ob § 3 Abs. 1 BetrVG auch die Bildung von – an sich nicht zulässigen – unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsräten zulässt, ist nicht abschließend geklärt. Für Betriebe verschiedener Rechtsträger kann kein gemeinsamer Gesamtbetriebsrat gebildet werden. Den Tarifvertragsparteien ist die Möglichkeit einer vom Gesetz abweichenden Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung lediglich in dem durch §...

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