Rz. 109

Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG haben Arbeitgeber und Betriebsrat über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Für die Beratungen ist keine besondere Form vorgesehen; sie kann mündlich oder schriftlich geschehen. Die Beratungen mit dem Betriebsrat müssen nicht mit dem gesamten Gremium, sondern können mit den vom Betriebsrat entsandten Vertretern geführt werden. Dass der Betriebsrat nach der Konzeption des BetrVG als Kollegialorgan verfasst ist, bedeutet nicht, er müsse die ihm zustehenden Beteiligungsrechte stets in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Vielmehr wird er nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse von dem Vorsitzenden vertreten. An dessen Erklärungen ist das Gremium grds. gebunden. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich ersichtlich nicht um Äußerungen für den Betriebsrat, sondern um persönliche Äußerungen handelt. Ohne Bedeutung ist, ob die vom Betriebsrat entsandten Vertreter zur Durchführung der Konsultationen bevollmächtigt sind. Es gilt – wie im Verfahren nach § 102 BetrVG – die Sphärentheorie, nach der sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats grds. nicht zulasten des Arbeitgebers auswirken. Vielmehr muss dieser überhaupt keine Beratungen nach § 17 Abs. 2 KSchG durchführen, wenn der Betriebsrat sich nicht innerhalb angemessener Frist auf Beratungen einlässt. Insofern macht es keinen Unterschied, ob er niemanden zu einem vereinbarten Verhandlungstermin entsendet oder seine Vertreter nicht ausreichend bevollmächtigt.[1]

 

Rz. 110

Die Pflicht zur Beratung trifft den Arbeitgeber insoweit, als er sich auf sachliche Vorschläge des Betriebsrats ernsthaft einlassen muss (vgl. § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Die Beratungspflicht gilt auch in Tendenzunternehmen.[2] Wegen der Verletzung der Beratungspflicht lässt sich durch europarechtskonforme Auslegung kein Anspruch auf Nachteilsausgleich herleiten.[3] Der Betriebsrat ist hingegen nicht verpflichtet, eine Stellungnahme abzugeben. Ihm soll durch das Konsultationsverfahren lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten (vgl. Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie). Das in Art. 2 MERL vorgesehene Konsultationsverfahren ist in § 17 Abs. 2 KSchG richtlinienkonform umgesetzt. Danach muss der Betriebsrat unterrichtet und es muss mit ihm beraten worden sein; dagegen muss eine Einigung vor Durchführung der Massenentlassung mit ihm nicht erzielt werden.[4] Der Arbeitgeber unterliegt im Konsultationsverfahren (§ 17 Abs. 2 KSchG) keinem Einigungszwang. Es reicht aus, wenn er mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und bereit ist, sich mit dessen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Der Arbeitgeber kann die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen vom Vorliegen bestimmter Bedingungen abhängig machen. Auch eine absolute Verhandlungs(mindest)dauer ist nicht vorgeschrieben. Der Arbeitgeber darf den Konsultationsanspruch des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG als erfüllt ansehen, wenn er den Betriebsrat zuvor vollständig nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG unterrichtet und ihm alle zweckdienlichen Auskünfte i. S. v. § 17 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 KSchG erteilt hat und dieser keine Bereitschaft zu zielführenden Verhandlungen erkennen lässt.[5] Insoweit steht ihm eine Beurteilungskompetenz zu.[6]

 
Hinweis

Damit der Arbeitgeber später nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG eine wirksame Anzeige auch im Falle der fehlenden Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen vornehmen kann, sollte er den Betriebsrat nachweisbar und schriftlich nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichten und ihn zu Beratungen nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG auffordern.

 

Rz. 111

Ist die mit der Massenentlassung verbundene Maßnahme zugleich eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG, erfüllt der Arbeitgeber die Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG, wenn er – ggf. unter Einschaltung der Einigungsstelle – einen Interessenausgleich abschließt. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Sozialplan vor Ausspruch der Kündigungen abgeschlossen ist.[7] Eine Einigung mit dem Betriebsrat über die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen (z. B. durch Abschluss eines Interessenausgleichs) und über die Milderung der Folgen (z. B. durch Abschluss eines Sozialplans) vor Erstattung der Anzeige ist ebenso wenig erforderlich wie die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens.[8]

 

Rz. 112

Damit der Arbeitgeber die "Soll"-Bestimmung des § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG beachten kann, sollten Arbeitgeber und Betriebsrat versuchen, sich über Angaben zu Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer zu verständigen. Dies setzt praktisch jedoch voraus, dass sich die Betriebsparteien konkret auf die Personen der zu entlassenden Arbeitnehmer einigen. Dazu wird es häufig aber nicht kommen, es sei denn, die Betriebsparteien schließen einen Interessenausgleich mit Namensliste ab (§ 1 Abs....

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