Rz. 94

Zweck des in § 17 Abs. 2 KSchG geregelten Konsultationsverfahrens ist es, den Betriebsrat über die beabsichtigten Entlassungen so rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, dass er konstruktive Vorschläge zur Vermeidung bzw. Beschränkung der Massenentlassung und zur Milderung der Folgen unterbreiten kann (vgl. Art. 2 Abs. 2 und 3 MERL) und dass eine Einigung mit dem Arbeitgeber insoweit möglich ist (vgl. Art. 2 Abs. 1 MERL[1]). Dementsprechend haben Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Nicht erforderlich ist allerdings, dass diese Beratungen vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige einen Abschluss in Form einer Einigung gefunden haben.[2] Das Konsultationsverfahren ist nicht bereits mit der vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats als abgeschlossen anzusehen. Vielmehr wird der Arbeitgeber eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschließende Unterrichtung erbitten und abwarten müssen. Er wird im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilungskompetenz den Beratungsanspruch des Betriebsrats erst dann als erfüllt ansehen dürfen, wenn entweder die Reaktion, die auf die "finale" – den Willen zu möglichen weiteren Verhandlungen erkennen lassende – Unterrichtung erbeten worden war, nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt oder sie aus seiner – des Arbeitgebers – Sicht keinen Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen bietet.[3] Im Rahmen seiner Beurteilungskompetenz obliegt es dem Arbeitgeber zu entscheiden, ob er gestellte Fragen beantwortet oder geforderte Informationen nachreicht. Er kann das ablehnen, wenn er die dahinterstehenden Überlegungen des Betriebsrats nach Abwägung mit seinen eigenen Vorstellungen für nicht zielführend hält oder wenn sich der Betriebsrat nicht auf Grundbedingungen einlässt, die der Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zur Grundlage der Beratung gemacht hat/mit denen er in die Beratung gegangen ist. Bei der gerichtlichen Kontrolle der Zweckdienlichkeit der erteilten Auskünfte sind diese Vorstellungen bzw. Bedingungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen.[4] Die Massenentlassungsvorschriften tasten die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers nicht an. Die vom KSchG nicht vorgesehene Kontrolle der unternehmerischen Entscheidung kann auch nicht mittelbar über das Konsultationsverfahren erzwungen werden. Der Arbeitgeber darf darum die Möglichkeit, die von ihm geplante Entscheidung zu ändern, von Vorbedingungen abhängig machen. Er muss dem Betriebsrat weder seine wirtschaftlichen Motive offenbaren noch muss er begründen, warum er auf dessen Vorschläge nicht eingeht.[5] Um das Ende des Konsultationsverfahrens nachweisen zu können, wird dem Arbeitgeber empfohlen, den Betriebsrat aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist eine abschließende Stellungnahme abzugeben, und ggf. das Verfahren für gescheitert zu erklären[6] (s. auch Rz. 21, 109 ff.).

[1] EuGH, Urteil v. 10.9.2009, C-44/08 (Akavan), NZA 2009, 1083, Rz. 38, 46; näher zum Konsultationsverfahren Grau/Sittard, BB 2011, 1845; Schramm/Kuhnke, NZA 2011, 1071, 1072 ff.; Krieger/Ludwig, NZA 2010, 919, 920 ff.
[2] BAG, Urteil v. 28.5.2009, 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, Rz. 58; vgl. auch BAG, Urteil v. 26.10.2017, 2 AZR 298/16, BeckRS 2017, 136121, Rz. 21 ff.; Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1846.
[4] BAG, Urteil v. 14.5.2020, 6 AZR 235/19, NZA 2020, 1091, Rz. 143.
[5] Spelge, NZA-Beil. 3/2017, 108, 109.
[6] Vgl. Hinrichs, AuR 2019, 348, 351.

5.2.1 Rechtzeitigkeit der Unterrichtung

 

Rz. 95

Vor diesem Hintergrund ist eine Unterrichtung des zuständigen Betriebsrats nur dann rechtzeitig i. S. d. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn sie vor der endgültigen Entscheidung über die Durchführung der Massenentlassung erfolgt. Die Unterrichtung muss so rechtzeitig sein, dass die Vorschläge und Bedenken des Betriebsrats bei der Planung der Massenentlassung und im Rahmen der nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG erforderlichen Beratungen noch berücksichtigt werden können (vgl. auch § 90 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).[1] Die Unterrichtungspflicht besteht jedoch noch nicht im Stadium bloßer Gedankenspiele und Vorüberlegungen.[2] Die in Art. 2 MERL vorgesehene Konsultationspflicht entsteht, wenn der Arbeitgeber erwägt, Massenentlassungen vorzunehmen, oder einen Plan für Massenentlassungen aufstellt.[3] Das Entstehen der Konsultationspflicht setzt jedoch nicht voraus, dass der Arbeitgeber bereits in der Lage ist, den Arbeitnehmervertretern alle Auskünfte zu den geplanten Massenentlassungen nach Art. 2 Abs. 3 UAbs. 1 lit. b MERL (entspricht § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG), wie z. B. Gründe, Zahl und Zeitraum der Entlassungen zu gewähren.[4] Der Arbeitgeber darf auch bei einer geplanten Betriebsstilllegung im Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens noch keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen u...

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