Rz. 782

Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die eine Kündigung rechtfertigen können, zählen sowohl die Stilllegung des gesamten Betriebs als auch die Stilllegung eines Betriebsteils. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen (BAG, Urteil v. 21.5.2015, 8 AZR 409/13[1]; BAG, Urteil v. 20.6.2013, 6 AZR 805/11[2]; BAG, Urteil v. 24.2.2005, 2 AZR 214/04[3]). Der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs ist in diesen Fällen vom Arbeitgeber relativ einfach darzulegen und im Streitfall zu beweisen.

 

Rz. 783

Eine Kündigung ist regelmäßig nicht erst mit der Umsetzung der Stilllegung gerechtfertigt, sondern es kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn der Arbeitgeber einen ernsthaften und endgültigen Stilllegungsentschluss gefasst hat und die betreffenden betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben (BAG, Urteil v. 21.5.2015, 8 AZR 409/13[4]; BAG, Urteil v. 20.6.2013, 6 AZR 805/11[5]). Solche greifbaren Formen liegen vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben (BAG, Urteil v. 16.2.2012, 8 AZR 693/10[6]; BAG, Urteil v. 27.11.2003, 2 AZR 48/03[7]).

 

Rz. 784

Eine vorübergehende Stilllegung steht dann einer endgültigen Betriebsstilllegung gleich, wenn der Arbeitgeber die Arbeiten für einen erheblichen Zeitraum einstellt, der über den Lauf der Kündigungsfristen hinausgeht und dessen Überbrückung ihm nicht zugemutet werden kann (BAG, Urteil v. 21.6.2001, 2 AZR 137/00[8]).

 

Rz. 785

Der Arbeitgeber hat dann keinen endgültigen Stilllegungsentschluss gefasst, wenn er noch die Veräußerung seines Betriebs plant und Beendigungskündigungen nur vorsorglich für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen ausspricht (BAG, Urteil v. 10.10.1996, 2 AZR 477/95[9]). Ein erst nach Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer gefasster endgültiger Stilllegungsentschluss kann die Kündigung nicht nachträglich rechtfertigen. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber sich im Zeitpunkt der Kündigung noch um neue Aufträge bemüht (BAG, Urteil v. 21.5.2015, 8 AZR 409/13[10]; BAG, Urteil v. 13.2.2008, 2 AZR 75/06[11]). Der Stilllegungsbeschluss muss allerdings nicht rechtswirksam sein, um Kündigungen zu rechtfertigen. Liegt der Kündigung einer GmbH kein wirksamer Beschluss der Gesellschafter zugrunde, kann die Kündigung gleichwohl gerechtfertigt sein; relevant ist lediglich, ob der Geschäftsführer einen Stilllegungsbeschluss gefasst und in dessen Umsetzung die Kündigung ausgesprochen hat (BAG, Urteil v. 14.3.2013, 8 AZR 154/12[12]; BAG, Urteil v. 5.4.2001, 2 AZR 696/99[13]).

[1] NZG 2016 S. 35.
[2] NZA 2013 S. 1137.
[3] AP KSchG 1969 § 1 Gemeinschaftsbetrieb Nr. 4, NZA 2005 S. 867.
[4] NZG 2016 S. 35.
[5] NZA 2013 S. 1137.
[6] NZA-RR 2012 S. 465.
[7] AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 64, NZA 2004 S. 477.
[8] AP KSchG 1969 § 15 Nr. 50, NZA 2002 S. 212.
[9] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81, NZA 1997 S. 251.
[10] NZG 2016 S. 35.
[11] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 173.
[12] NJOZ 2013 S. 1990.
[13] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 117, NZA 2001 S. 949; zustimmend HWK/Quecke, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 300; KDZ/Deinert, KSchR, 8. Aufl. 2011, § 1 KSchG, Rz. 385.

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