Rz. 210

Der Arbeitnehmer hat seinen Kündigungsschutz verwirkt, wenn er ihn nicht rechtzeitig vor Gericht geltend macht. Die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung sind allerdings nur dann zu prüfen, wenn die Klagfrist gem. §§ 4, 7 KSchG nicht einschlägig ist.

 

Rz. 211

Gem. § 4 KSchG muss der Arbeitnehmer grds. jede schriftliche Kündigung des Arbeitgebers innerhalb von 3 Wochen ab deren Zugang mit einer Kündigungsschutzklage angreifen, unabhängig davon,

  • wie groß der Betrieb ist,
  • wie lange der Arbeitnehmer in dem Betrieb beschäftigt ist und
  • welchen Unwirksamkeitsgrund er geltend machen will.

Das gilt gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG auch für die außerordentliche Kündigung (BAG, Urteil v. 28.6.2007, 6 AZR 873/06).

Bei Verstreichenlassen der Klagefrist werden gem. § 7 KSchG sämtliche Wirksamkeitsmängel geheilt, und die Kündigung gilt als von Anfang an rechtswirksam. Die verfristete Klage ist ohne weitere Prüfung als unbegründet abzuweisen. Konnte der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller Sorgfalt die Klagefrist nicht einhalten, kann er gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG die nachträgliche Zulassung der Klage beantragen. Die Unkenntnis der Rechtslage entschuldigt ihn nicht, die Unkenntnis von Tatsachen entschuldigt die Arbeitnehmerin nur im Fall des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht wurden in der Vergangenheit von LAG zu LAG unterschiedlich beurteilt. Seit dem 1.4.2008 entscheidet das Gericht über die nachträgliche Klagezulassung nicht mehr durch Beschluss (mit der Möglichkeit der sofortigen Beschwerde), sondern durch Urteil (mit der Möglichkeit der Berufung und Revision), sodass seither das BAG für eine bundeseinheitliche Rechtsprechung sorgen kann, vgl. § 5 Abs. 4 KSchG n. F.[1]

Der Beginn der Klagefrist verschiebt sich

Beginn und Dauer der Klagefrist werden bei Besatzungsmitgliedern eines Schiffs oder eines Luftfahrzeugs durch § 24 Abs. 3 KSchG modifiziert.

 

Rz. 212

Soweit die §§ 4, 7 KSchG nicht anwendbar sind, kann der Arbeitnehmer eine allgemeine Feststellungsklage i. S. d. § 256 ZPO erheben. Diese Klageart ist nicht fristgebunden. Jedoch ist das Klagerecht und damit der Kündigungsschutz gem. § 242 BGB verwirkt, wenn

  • der Arbeitnehmer mit der Klageerhebung längere Zeit wartet (Zeitmoment),
  • der Arbeitgeber aufgrund der Umstände des Einzelfalls mittlerweile darauf vertrauen darf, der Arbeitnehmer werde die Kündigung hinnehmen (Umstands- oder Vertrauensmoment), und
  • dem Arbeitgeber die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist, etwa wegen Umorganisation, Neueinstellungen oder finanzieller Aufwendungen (Umstandsmoment im engeren Sinne[2]).
 

Rz. 213

Die Verwirkung des Klagerechts kann je nach Einzelfall nach wenigen Wochen oder erst nach einigen Monaten eintreten.

 

Rz. 214

Diese Grundsätze gelten nur für den Fall, dass

  • eine formnichtige Kündigung zugegangen ist, vgl. § 4 Satz 1 KSchG[3],
  • lediglich die Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde, § 622 BGB, und die Kündigung dahingehend ausgelegt werden kann, dass das Arbeitsverhältnis zum nächst zulässigen Termin beendet werden soll. Dabei geht der 2. Senat des BAG davon aus, dass die Kündigung im Regelfall entsprechend ausgelegt werden kann (BAG, Urteil v. 9.9.2010, 2 AZR 714/08; BAG, Urteil v. 15.12.2005, 2 AZR 148/05; ihm folgend der 6. Senat: BAG, Urteil v. 9.2.2006, 6 AZR 283/05), während der 5. Senat des BAG diese Auslegungsregel nicht anerkennt, sondern im Einzelfall genau prüft (BAG, Urteil v. 15.5.2013, 5 AZR 130/12). Wenn sich nicht durch Auslegung ermitteln lässt, dass eine fristwahrende Kündigung ausgesprochen werden sollte, muss die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden (BAG, Urteil v. 1.9.2010, 5 AZR 700/09[4]),
  • übergeordnete Prinzipien dies verlangen, namentlich

    der Minderjährigenschutz, §§ 105, 111 BGB[5],

    die Privatautonomie, § 180 BGB, es sei denn, der Arbeitgeber hat die Kündigung durch den Dritten genehmigt[6],

    der Bestandsschutz bei Betriebsübergang, § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB. D. h., die Klagfrist gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer (noch) keinen allgemeinen Kündigungsschutz genießt und der Veräußerer den Arbeitnehmer nicht über den geplanten Betriebsübergang unterrichtet hat[7],

  • der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber über den Sonderkündigungsschutz informiert hatte, aber keine Nachricht von der Behörde erhält, § 4 Satz 4 KSchG.[8]

Erhebt der Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen nach Zugang einer Kündigung eine allgemeine Feststellungsklage i. S. v. § 256 Abs. 1 ZPO, mit der er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend macht und die Wirksamkeit jeglichen potenziellen Auflösungstatbestands in Abrede stellt, hat er die Frist des § 4 Satz 1 KSchG jedenfalls dann gewahrt, wenn er die fragliche Kündigung noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – nunmehr konkret bez...

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