Leitsatz (amtlich)

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 24.10.2007, 1 BvR 1086/07) verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Grundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Ein entscheidungserheblicher Beweisantritt darf daher nur in Ausnahmefällen unbeachtet gelassen werden. Denn aus dem Justizgewährungsanspruch folgt auch ein "Recht auf Beweis". Das unberechtigte Übergehen eines Beweisantrags ist Versagung rechtlichen Gehörs und ein Verfahrensfehler, der die Zurückverweisung durch das Berufungsgericht rechtfertigt.

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Urteil vom 28.06.2011; Aktenzeichen 3 O 492/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Mühlhausen vom 28.6.2011 - Az.: 3 O 492/10 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das LG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem LG Mühlhausen vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt Ersatz von materiellen (375 EUR) und immateriellen Schäden (1.200 EUR) wegen eines Glatteissturzes.

Der Kläger behauptet, dass er am 3.1.2010, einem Sonntag, gegen 9:00 Uhr zu Fuß in der Pfortenstraße in Mühlhausen unterwegs gewesen sei und dort den Fußweg benutzt habe. Dieser Fußweg sei zu diesem Zeitpunkt nicht geräumt und gestreut und daher derart glatt gewesen, dass er gestürzt und auf seine linke Seite gefallen sei. Er habe sich am nächsten Tag aufgrund der beim Sturz erlittenen Verletzungen zur ambulanten Behandlung begeben, bei der eine Fraktur der 7. Rippe links diagnostiziert worden sei.

Der Kläger hat zum Beweis seines Sturzes und der Örtlichkeit des Sturzes seine Ehefrau, seinen Sohn und den behandelnden Arzt als Zeugen benannt.

Wegen der weiteren Feststellungen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe den Unfallhergang, den die Beklagte zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten habe, nicht bewiesen. Zwar habe er Zeugen angeboten. Sämtliche von ihm benannten Zeugen seien aber nicht bei dem von ihm behaupteten Unfall zugegen gewesen, sondern wüssten davon nur aus dem Bericht des Klägers. Weil es sich nur um Zeugen vom Hörensagen handele, seien die Beweisangebote nicht geeignet, den Vortrag des Klägers zu beweisen.

Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 5.7.2011 zugestellt wurde, hat der Kläger am 2.8.2011 Berufung eingelegt und diese am 5.9.2011 begründet. Mit der Berufung rügt der Kläger vor allem, dass das LG es unterlassen habe, den Kläger gem. § 448 ZPO als Partei anzuhören.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 375 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von 229,55 EUR zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber einen Betrag von 1200 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Mühlhausen zurückzuverweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 511,513,517,519,520 ZPO). In der Sache hat sie (vorläufig) Erfolg.

Das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem schweren Verfahrensfehler, auf Grund dessen eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig ist, so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und zurückzuverweisen ist (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Den dazu erforderlichen Antrag hat der Kläger gestellt.

Das LG hat die Klage unter Verstoß gegen Art. 103 GG und die Grundsätze des fairen Verfahrens ohne Beweisaufnahme abgewiesen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG, Beschluss vom 24.10.2007, 1 BvR 1086/07) verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Grundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sa...

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