Leitsatz (amtlich)

1. Weder § 35 StVO, noch § 38 StVO erlauben dem Fahrer eines Einsatzfahrzeugs ein Fahren ohne Rücksicht auf die sonstigen Verkehrsteilnehmer. Auch bei einer Sonderrechtsfahrt sind gem. § 35 Abs. 8 StVO die öffentliche Sicherheit und Ordnung gebührend zu berücksichtigen.

2. Das bedeutet, dass die Regelung der Vorfahrt an einer Kreuzung grundsätzlich durch die Inanspruchnahme von Sonderrechten unberührt bleibt. Die übrigen Verkehrsteilnehmer haben dem Einsatzfahrzeug jedoch sofort "freie Bahn" zu verschaffen. Sie verzichten damit quasi vorübergehend auf Ihr Vorfahrtsrecht. Der Fahrer des Sonderrechte in Anspruch nehmenden Fahrzeugs muss sich jedoch stets davon überzeugen, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht, die Kreuzung vor ihnen zu überqueren, eingestellt haben.

 

Verfahrensgang

LG Gera (Urteil vom 17.02.2005; Aktenzeichen 6 O 953/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Gera vom 17.2.2005 - 6 O 953/04, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen, jedoch i.H.v 926,25 EUR wegen Hilfsaufrechnung.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin 89 % und die Beklagte 11 % zu tragen.

Von den Kosten der Berufungsinstanz hat die Klägerin 53 % und die Beklagte 47 % zu tragen

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.977,10 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).

II. Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache nur dahin Erfolg, dass die Kosten des Rechtsstreits verhältnismäßig zu teilen sind.

Das LG hat die Klage - im Ergebnis - zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat zwar gegen die Beklagte als Halter gem. § 7 StVG einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v 926,25 EUR.

Der Unfall hat sich beim Betrieb des Feuerwehrwagens der Beklagten ereignet. 100 % ihres Schadens erhält die Klägerin nur dann erstattet (so ihr Antrag 1. Instanz), wenn sie entweder bewiesen hat, dass der Unfall für sie ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG war oder aber den Zeugen B. - den Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges - ein so überwiegendes Verschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft, dass im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der Klägerin gänzlich hinter dem der Beklagten zurücktritt. In zweiter Instanz verlangt sie nicht mehr 100 %, sondern nur noch 20 % ihres Schadens ersetzt.

Für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG ist die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet. Der Beweis ist ihr aber nicht gelungen. Denn die Klägerin hat selbst schuldhaft gehandelt. Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass die Klägerin das Vorrecht des Fahrzeugs der Beklagten gem. §§ 38 Abs. 1, 35 Abs. 1 StVO missachtet hat.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht fest, dass das Einsatzhorn im Bereich der Kreuzung durchgehend eingeschaltet war. Die Klägerin hätte deshalb dem Einsatzwagen Vorrang einräumen müssen.

An diese Feststellungen ist der Senat gebunden. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Weder zeigt die Berufung solche Anhaltspunkte nachvollziehbar auf (vgl. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) noch sind konkrete Anhaltspunkte ersichtlich, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn sie nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 9.3.2005, a.a.O.; vom 12.3.2004, a.a.O.). Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist vielmehr fehlerfrei und überzeugend. Insoweit wird sie auch von der Klägerin nicht beanstandet.

Welche Gründe es letztlich hatte, dass die Klägerin das Martinshorn vor dem Zusammenstoß nicht gehört haben will, kann offen bleiben. Denn die Klägerin muss sich so verhalten, dass sie beim Betrieb des Fahrzeugs ein Martinshorn jederzeit rechtzeitig hören kann (OLG Celle, Urt. v. 23.6.1998 - 17 U 3/98, Schaden-Praxis 1999, 224-225).

Aber auch den Zeugen B. (den Fahrer des Vorausfahrzeugs) trifft ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls. Aufgrund der Beweisaufnahme steht ebenfalls fest, dass der Zeuge B. eine Vorfahrtverletzung begangen hat. Er ist - offenbar - bei Rot in die Kreuzung eingefahren und hat sich dabei über das Vorfahrtrecht der Klägerin hinweggesetzt, für die die Lichtzeichenanlage unstreitig Grün anzeigte und die damit freie Fahrt hatte. Zwar mag sich der Zeuge B., wie insb. er selbst bekundet hat, vorsichtig in die Kreuzung hinein getastet haben. Bei Rot ist einem Wegerechtsfahrzeug die Weiterfahrt jedoch nur gestattet, wenn sich der Führer des Fahrzeugs vergewissert hat, dass sich der Ve...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge