Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Ermittlung des einzusetzenden Einkommens aus Erwerbstätigkeit. Tätigkeit in Behindertenwerkstatt. Arbeitsförderungsgeld. Berücksichtigung von Rundfunkgebühren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter den Begriff der Erwerbstätigkeit im Sinne des § 115 Abs 1 S 3 Nr 1 Buchst b ZPO fällt auch die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt. Der Erwerbstätigenfreibetrag ist auch dann abzusetzen, wenn er höher ist als das Erwerbseinkommen.

2. Arbeitsförderungsgeld bleibt nach § 59 Abs 2 SGB IX (juris: SGB 9 2018) als Einkommen unberücksichtigt.

3. Rundfunkgebühren sind bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens als angemessene besondere Belastungen nach § 115 Abs 1 S 3 Nr 5 ZPO in Abzug zu bringen.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 27. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein sozialhilferechtliches Klageverfahren, mit welchem die Klägerin und Beschwerdegegnerin die Gewährung von Eingliederungsleistungen begehrt. Prozesskostenhilfe wurde mit am 9. März 2020 beim Sozialgericht Gotha eingegangenem Schriftsatz unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt. Durch Beschluss vom 27. Januar 2021 hat der Vorsitzende der Kammer der Beschwerdegegnerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsbestimmung unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ab dem 9. März 2020 bewilligt.

Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat der Beschwerdeführer, welchem der Beschluss des Sozialgerichts Gotha ausweislich eines Eingangsstempels am 1. März 2021 zur Kenntnis gelangt ist, am 15. März 2021 Beschwerde eingelegt. Er beanstandet, dass der Beschwerdegegnerin ohne Ratenzahlung PKH bewilligt worden sei.

Mit Verfügung vom 17. Mai 2021 hat der Berichterstatter des Senats der Beschwerdegegnerin die Vorlage aktueller und vollständiger Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen aufgegeben. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2021 eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Gerichtsakte mit Nachweisen, insbesondere über die Höhe der Rente, vorgelegt. Der Berichterstatter des Senats hat des Weiteren beim Amtsgericht M einen Beschluss vom 29. September 2020 über die Erteilung der Restschuldbefreiung hinsichtlich eines Privatinsolvenzverfahrens beigezogen und eine Kopie des Schwerbehindertenausweises der Beschwerdegegnerin mit dem Merkzeichen „G“. Der Beschwerdeführer hat zuletzt mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2021 geltend gemacht, dass eine monatliche Rate in Höhe von 92,00 Euro zu zahlen sei.

II.

Gemäß § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine derartige andere Bestimmung ist für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch die Kammervorsitzenden der Sozialgerichte geregelt. So findet gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Beschwerde (nur) der Staatskasse gegen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Danach ist aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschluss vom 27. Januar 2021 ohne Festsetzung von Zahlungen die Beschwerde statthaft. Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 3 Satz 2 ZPO kann die Beschwerde ferner nur darauf gestützt werden, dass der oder die Beteiligte nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat. Auch dies ist vorliegend erfüllt, denn die Staatskasse als Beschwerdeführerin macht geltend, dass Raten zu leisten sind. Die Beschwerde ist auch nicht nach § 73a Abs. 8 SGG ausgeschlossen, weil vorliegend nicht der Urkundsbeamte, sondern der Kammervorsitzende entschieden hat.

Die Beschwerde ist durch den Beschwerdeführer, die Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse, auch fristgerecht am 15. März 2021 beim Sozialgericht Gotha eingelegt worden. Die Frist hierzu beträgt gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 3 Satz 3, 6 ZPO einen Monat ab Kenntnisnahme durch den Bezirksrevisor. Es liegt auch keine Unstatthaftigkeit der Beschwerde gemäß § 127 Abs. 3 Satz 4 ZPO wegen Ablaufs von drei Monaten seit Erlass des Bewilligungsbeschlusses vor. Die erforderliche Abhilfeentscheidung durch das Sozialgericht liegt vor.

Die danach statthafte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat der Beschwerdegegnerin zu Recht Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Zahlungen bewilligt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die Klägerin und Beschwerde...

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