Entscheidungsstichwort (Thema)

Summarische Prüfung der Hilfebedürftigkeit bei bestehender Bedarfsgemeinschaft im einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Zur Bewilligung von Leistungen des SGB 2 durch einstweiligen Rechtsschutz ist u. a. erforderlich, dass der Antragsteller die bestehende Hilfebedürftigkeit glaubhaft macht. Bildet dieser mit den anderen Familienmitgliedern nach summarischer Prüfung eine Bedarfsgemeinschaft, so muss er sich deren Einkommen anrechnen lassen.

2. Nach summarischer Prüfung ist es verfassungsrechtlich zulässig, eine staatliche Fürsorgeleistung an eine tatsächliche Hilfebedürftigkeit zu knüpfen und diese dann zu verneinen, wenn ein Eintreten Dritter aufgrund moralischer, wenn auch nicht aus zivilrechtlichen Gründen typischerweise erwartet werden kann. Der Gesetzgeber räumt nach herrschender Rechtsprechung der Versorgung aufgrund moralischer Verpflichtung den Vorrang vor staatlichen Transferleistungen nach dem SGB 2 ein.

3. Die insoweit maßgebliche Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB 2 ist solange anzuwendendes geltendes Recht, als sie nicht vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden ist.

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 12. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

 

Gründe

I .

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilverfahrens über Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1986 geborene Beschwerdeführer bewohnt mit seiner Mutter S. F., dem Stiefvater D. F. und der im Jahre 2004 geborenen Stiefschwester C. sowie seinem Großvater F. B.r - dem Eigentümer - das Anwesen D. in K. Ab Sommer 2003 absolvierte er eine Ausbildung zum Bürokaufmann und erhielt Leistungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG). Auf seinen Antrag bewilligte die Beschwerdegegnerin ab Januar 2005 ergänzende Leistungen zur Grundsicherung.

Nach Ausbau des Dachgeschosses bewohnt der Beschwerdeführer in dem Anwesen ein etwa 19 Quadratmeter großes Zimmer Er nutzt weiterhin Küche, WC und Bad in der Wohnung seiner Mutter im ersten Obergeschoss. Nach einer "Mietvereinbarung" vom 1. Januar 2006 zahlt er anteilig Wohnnebenkosten auf das Konto seiner Mutter; die Zahlung eines Mietzinses entfällt.

Am 21. Juni 2006 beantragte er die Fortzahlung der Leistungen über den 31. Juli 2006 hinaus. Der Außendienst der Beschwerdegegnerin berichtete unter dem 12. Juli 2006, der Beschwerdeführer bewohne lediglich ein Zimmer im Dachgeschoss; es sei somit von einer Haushaltsgemeinschaft mit seiner Mutter auszugehen. Daraufhin lehnte die Beschwerdegegnerin den Fortzahlungsantrag mit Bescheid vom 19. Juli 2006 ab. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der Änderung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II zum 1. Juli 2006 keinen eigenständigen Leistungsanspruch mehr. Er bilde jetzt eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter und den anderen Familienmitgliedern, weil er in deren Haushalt lebe. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2006 zurück. Diesbezüglich ist ein Klageverfahren (Az.: S 19 AS 2179/06) beim Sozialgericht Meiningen anhängig.

Einen weiteren Leistungsantrag lehnte die Beschwerdegegnerin mit der gleichen Begründung ab (Bescheid vom 17. April 2007).

Nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses als Callcenter-Agent beantragte der Beschwerdeführer am 1. November 2007 erneut Leistungen zur Grundsicherung. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2007 lehnte die Beschwerdegegnerin den Antrag ab. Zu ihrer Überzeugung bilde der Beschwerdeführer mit den anderen Familienmitgliedern eine Bedarfsgemeinschaft. Deren bereinigtes Einkommen übersteige den ermittelten Gesamtbedarf um etwa 160,00 Euro. Bedürftigkeit im Sinne von § 9 SGB II liege damit nicht vor.

Der Beschwerdeführer hat dagegen am 24. Januar 2008 Widerspruch eingelegt und am gleichen Tag den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 12. Februar 2008 hat das Sozialgericht Meiningen den Eilantrag abgelehnt. Im Hinblick auf das vorgetragene Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom sei bereits fraglich, ob der Beschwerdeführer erwerbsfähig sei. Dies könne letztlich dahinstehen. Jedenfalls sei er nach § 9 SGB II nicht hilfebedürftig, denn er könne seinen Lebensunterhalt durch das Einkommen der Mutter und des Stiefvaters, mit denen er in einer Bedarfsgemeinschaft lebe, sicherstellen. Anhand der äußerlichen Umstände gehöre er weiterhin dem Haushalt der Mutter an. Insbesondere ändere hieran auch die Vorlage eines sogenannten "Untermietvertrages" bzw. "Mietvertrages" nichts. Bei näherer Betrachtung handele es sich nicht um Mietverträge, weil es den Vereinbarungen an einem unerlässlichen Element des Vertrages - nämlich der Entrichtung eines Mietzinses - fehle. Gerade dieser Punkt zeige, dass die engen familiären Bande für die Wohnverhältnisse dominierend seien.

Der Bes...

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