Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf eine leidensgerechte Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Tarifliche Ausschlussfrist bei Auskunftsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Informationspflicht des Arbeitgebers im öffentliche Dienst bei einem Auswahlverfahren zur Höhergruppierung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf eine leidensgerechte Beschäftigung folgt vorliegend nicht nur aus dem Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB), sondern zusätzlich aus § 81 Abs. 4 SGB IX a.F., nachdem der Klägerin ein GdB von 30 zuerkannt und sie einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurde. Dabei kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass sich der Anspruch auf eine Beschäftigung im Geschäftsbereich des TMBJS beschränkt, da das Ministerium als oberste Landesbehörde Arbeitgeber im Sinne des Schwerbehindertenrechts sei, denn zum einen muss vorliegend Berücksichtigung finden, dass die Klägerin in der Vergangenheit bereits außerhalb des Geschäftsbereichs in der Thüringer Staatskanzlei eingesetzt wurde und zum anderen, dass der Beklagte von sich aus Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des Geschäftsbereichs des TMBJS als mögliche Beschäftigungsstellen in Betracht gezogen hat, indem er Anfragen an andere Ministerien gerichtet hat. Hieran muss sich der Beklagte festhalten lassen.

2. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet unstreitig der TV-L Anwendung. § 37 TV-L enthält eine tarifvertragliche Ausschlussfrist. § 37 Abs. 1 S. 1TV-L bestimmt, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Bei dem Auskunftsanspruch, um den es vorliegend geht, handelt es sich um einen Anspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Dies gilt sowohl für den Fall, dass der Anspruch aus § 242 BGB oder aber unmittelbar aus der Drittwirkung der Art. 33 Abs. 2, 19 Abs. 4 GG aufgrund der besonderen Situation eines potenziell von einem Höhergruppierungsverfahren betroffenen Arbeitnehmers hergeleitet wird.

3. Führt ein Arbeitgeber ein Auswahlverfahren zu Höhergruppierung durch, hat er grundsätzlich alle zur Auswahlgruppe gehörenden Arbeitnehmer, dies sind vorliegend alle für eine Höhergruppierung in Betracht kommenden Regelschullehrer, sowohl von der Bildung der Auswahlgruppe, als auch von den berücksichtigten Auswahlkriterien zu unterrichten. Ebenso nach Abschluss des Auswahlverfahrens von dessen Ergebnis einschließlich der Begründung für die getroffene Entscheidung, damit die nicht berücksichtigten Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten Eilrechtsschutz noch vor Vollzug der Höhergruppierung zu erreichen und nicht lediglich auf Schadenersatzanspruch verwiesen werden.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 242; TV-L § 37 Abs. 1 S. 1; SGB IX a.F. § 81 Abs. 4; GG Art. 33 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Entscheidung vom 01.04.2016; Aktenzeichen 9 Ca 17/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.12.2019; Aktenzeichen 9 AZR 78/19)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 01.04.2016 (9 Ca 17/16) und die gegen dieses Urteil vom Beklagten eingelegte Berufung werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Verpflichtung des Beklagten, die Klägerin leidensgerecht unter Ausschluss einer Tätigkeit als Lehrerin im Schuldienst zu beschäftigen, einen Anspruch der Klägerin auf Auskunft über Höhergruppierungen von Lehrkräften nach der Entgeltgruppe 13 TV-L im Regelschuldienst mindestens ab Januar 2007 und einen Schadensersatzanspruch der Klägerin im Umfang der Vergütungsdifferenz die sich bei einer Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 13 TV-L für sie ergeben hätte.

Die am 07.07.1955 geborene Klägerin war beim beklagten Freistaat bzw. dessen Rechtsvorgänger seit dem 01.08.1979 als Lehrerin beschäftigt. Im Zeitraum Ende 2008 bis zum 31.07.2012 erfolgte eine Abordnung der Klägerin an das E I i d. Aufgrund von Bedarf an ihrer Stammschule wurde eine weitere Abordnung abgelehnt. Ab September 2012 war die Klägerin langfristig arbeitsunfähig krank. Während dieser Zeit gab es zwei Wiedereingliederungsversuche in den Zeiträumen 24.06.2013 bis 12.07.2013 und 23.06.2014 bis 17.07.2014. Am 17.01.2013 wurde ein Präventionsgespräch mit der Klägerin geführt und am 20.01.2013 erfolgte eine Amtsärztliche Untersuchung der Klägerin, die zu der Feststellung (Bl. 190 d. A.) gelangte, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin seit dem 17.09.2012 aufgrund einer dienstlichen Konfliktsituation bestehe und zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit eine dienstliche Umsetzung unumgänglich sei.

Ab dem 01.04.2013 erfolgte eine Abordnung der Klägerin von ihrer Stammdienststelle an die F Schule in E. Am 24.02.2014 fand eine weitere Amtsärztliche Untersuchung der Klägerin statt, die zu der Feststellung (Bl. 191 u. 192 d. A.) gelangte, dass unter der Voraussetzung eines erneuten Schulwechsels in absehbarer Z...

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