Entscheidungsstichwort (Thema)

Sittenwidrigkeit eines Schuldanerkenntnisses einer in einem Lebensmittelmarkt angestellten Kassiererin

 

Leitsatz (amtlich)

1) Der Arbeitgeber darf zur Beschaffung eines Schuldanerkenntnisses einer der Kassen- und Warenveruntreuung verdächtigten Angestellten diese nicht in eine Zwangssituation bringen, in der die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit ausgeschaltet wird.

2) Bei der Anhörung einer der Kassen- und Warenveruntreuung verdächtigten Angestellten muss der Arbeitgeber rechtsstaatliche Erfordernisse einhalten. Er darf dieser weder die Bewegungsfreiheit beschränken, noch das Recht abschneiden, den Rat einer Person ihres Vertrauens bzw. eines Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen.

3) Wenn für ein Schuldanerkenntnis die Berechnung des von der Angestellten verursachten Schadens nur im Wege einer Hochrechnung erfolgen kann, muss sichergestellt sein, dass die Hochrechnung frei von Denk- und Rechenfehlern ist und auf hinreichend abgesicherter Grundlage beruht.

4) Der Arbeitgeber darf die Gelegenheit der Aufdeckung einer Kassen- und Warenveruntreuung einer Angestellten nicht dazu nutzen, durch ein von dieser unterzeichnetes Schuldanerkenntnis auch solche Inventurdifferenzen auszugleichen, für die andere Ursachen, als die aufgedeckten strafbaren Handlungen wahrscheinlich sind.

 

Normenkette

BGB §§ 138, 305, 781

 

Verfahrensgang

ArbG Suhl (Urteil vom 28.10.1996; Aktenzeichen 5 Ca 554/96)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 28.10.1996 – 5 Ca 554/96 – wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Beklagten weder ein Anspruch aus dem Schuldanerkenntnis vom 07.11.1995 noch aus dem Schuldanerkenntnis vom 08.11.1995 zusteht.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit zweier Schuldanerkenntnisse.

Die am 09.07.1976 geborene Klägerin stand seit dem 01.08.1993 in einem Ausbildungsverhältnis mit der Firma R. GmbH & Co KG. Mit Wirkung vom 01.10.1993 wurde dieses Ausbildungsverhältnis mit der R. G. OHG fortgesetzt.

Zumindest ab dem 20.12.1993 wurde die Klägerin auch als Kassiererin beschäftigt.

Am 14.09.1994 erfolgte ein Standortwechsel der R. G. OHG. Vorher – im alten Markt – betrug der Jahresumsatz 18 Mio DM, nachher – im neuen Markt – betrug er 4 Mio DM.

Bereits ab dem Jahr 1993 lagen bei der R. G. OHG Inventurdifferenzen vor, die eine laufende Kontrolle durch die zuständige Revisorin der R.-Gruppe erforderlich machten. Bereits im alten Markt wurden zum 01.10.1993 Inventurdifferenzen von 280.000,00 DM festgestellt. Im Dezember 1994 wurden Inventurdifferenzen von 50.000,00 DM festgestellt, im April 1995 wiederum 80.000,00 DM, 2 Wochen später weitere 50.000,00 DM und 4 Wochen später weitere 13.000,00 DM. Die Überprüfung durch die Revisorin ergab bereits kurz nach der Eröffnung des neuen Marktes das Vorhandensein von Sicherheitsmängeln, wie z.B. nicht abgeschlossene Türen. Da die Inventurdifferenzen auch nach der Anordnung der Revisorin die von ihr entdeckten Sicherheitsmängel abzustellen, weiterhin aufgetreten sind, empfahl diese eine Videoüberwachung des Kassenbereichs. Diese wurde vom 12. Bis 19.10.1995 durchgeführt und ergab bzgl. 4 Mitarbeiterinnen, u.a. der Klägerin den Verdacht unerlaubter Waren- bzw. Geldentnahmen zu Lasten des Marktes. Auf Grund dieses Verdachtes wurde seitens der Marktleitung (Zeugen H. und G.) und der Revisorin der R.-Unternehmensgruppe (der Zeugin W.) mit den betroffenen Mitarbeiterinnen am 07.11.1995 ein Gespräch geführt. Im Rahmen dieses Gespräches wurden die betroffenen Mitarbeiterinnen mit dem aus den Videoaufnahmen folgenden Verdacht konfrontiert. Der weitere Ablauf dieser Gespräche ist zwischen den Parteien streitig. Alle 4 genannten Mitarbeiterinnen, darunter die Klägerin, verfassten im Ergebnis dieser Gespräche handschriftliche Stellungnahmen, in denen sie einräumten, aus dem Markt unberechtigt Ware und Geld in einer bestimmten Höhe entnommen zu haben und unterzeichneten von der Marktleitung vorbereitete Schuldanerkenntnisse, in welche die in den Stellungnahmen angegebenen Summen – bei der Klägerin eine Schuldsumme von 80.000,00 DM – eingetragen wurden. Zwei der Schuldanerkenntnisse wurden noch am 07.11.1995, die beiden anderen – u. a. das der Klägerin – wurden am 08.11.1995 noch einmal in Form einer notariellen Urkunde mit Zwangsvollstreckungsunterwerfungsklausel errichtet.

Wegen des Inhalts der von der Klägerin abgegebenen Stellungnahme, der notariellen Schuldanerkenntnisse des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die mit dem Antrag geführte Klage, die Rechtsunwirksamkeit der Schuldanerkenntnisse der Klägerin vom 07.11.1995 und vom 08.11.1995 festzustellen, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des der Klägerin am 20.01.1997 zugestellten erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 18.02.1997 beim Thüringer Landesarbeitsgericht...

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