Das Wichtigste in Kürze:

1. Für einen Entschädigungsanspruch nach dem OEG müssen zunächst die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erfüllt sein.
2. Zentrale Bedeutung für Opferentschädigungsfälle hat der Begriff des vorsätzlichen rechtswidrigen "tätlichen Angriffs".
3. Tätlicher Angriff“ nach dem OEG ist vielschichtiger und weitreichender als der in einigen Strafrechtsnormen verwendete identische Begriff.
4. Der Vorsatzbegriff des OEG unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von dem strafrechtlichen.
5. Das OEG gebietet eine von Straf- und Zivilverfahren unabhängige Beweiswürdigung durch die Tatsachengerichte.
6. In der Rechtsprechung haben unterschiedliche Fallgruppen strafbarer Handlungen Bedeutung für Ansprüche nach dem OEG.
 

Rdn 17

 

Literaturhinweise:

S. die Hinweise bei → Ansprüche, Opferentschädigung, Allgemeines, Teil I Rdn 2.

 

Rdn 18

1. Für einen Entschädigungsanspruch nach dem OEG müssen zunächst die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erfüllt sein. Als Verletzungshandlungen kommen

der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff (§ 1 Abs. 1 S. 1 OEG; vgl. Rdn 20 ff.) sowie – dem gleichgestellt –
die "vorsätzliche Beibringung von Gift" (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG) oder
die "wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen" (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG) in Betracht.
 

Rdn 19

2. Zentrale Bedeutung für Opferentschädigungsfälle hat der Begriff des "tätlichen Angriffs" nach § Abs. 1 S. 1 OEG, so dass die folgenden Ausführungen im Wesentlichen darauf beschränkt bleiben.

 

☆ Mit vorsätzlicher Beibringung von Gift sind die Fälle der §§ 224 Abs. 1 Nr. 1, 308, 314 Abs. 2 StGB gemeint. Ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen umfasst vor allem Kapitaldelikte ."vorsätzlicher Beibringung von Gift" sind die Fälle der §§ 224 Abs. 1 Nr. 1, 308, 314 Abs. 2 StGB gemeint. Ein mit "gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen" umfasst vor allem Kapitaldelikte.

 

Rdn 20

3.a) "Tätlicher Angriff" nach dem OEG ist vielschichtiger und weitreichender als der in einigen Strafsrechtnormen (z.B. §§ 113, 121 StGB) verwendete identische Begriff.

 

Rdn 21

Sozialrechtlich wird bei einem "tätlichen Angriff" entscheidend darauf abgestellt, dass der "Angreifer" – wie er in § 1 Abs. 1 S. 2 OEG ausdrücklich bezeichnet wird – in "feindseliger Willensrichtung" unmittelbar auf den Körper eines anderen gewaltsam und gezielt einwirkt. Das Merkmal der feindseligen Willensrichtung dient – so das BSG (BSG Urt. v. 7.4.2011 – B 9 VG 2/10 R) – im Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozial adäquaten oder gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters.

 

☆ Der tätliche Angriff kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Er istnach dem OEG ist nicht auf aktives Handeln beschränkt, sondern kann u.U. bei unechten Unterlassungsdelikten vorliegen. Das bloße Nichthandeln kann, soweit es eine Straftat darstellt, ausreichen (vgl. BSG NJW 1996, 1619 zur bedingt vorsätzlichen Übertragung von Krankheitserregern durch Aids-Infektion).unechten Unterlassungsdelikten vorliegen. Das bloße Nichthandeln kann, soweit es eine Straftat darstellt, ausreichen (vgl. BSG NJW 1996, 1619 zur bedingt vorsätzlichen Übertragung von Krankheitserregern durch Aids-Infektion).

 

Rdn 22

b)aa) Angesichts einer fehlenden Kongruenz zwischen Opferentschädigungsrecht einerseits und Strafrecht andererseits kommt es für die Feststellung einer "feindseligen Willensrichtung" nicht entscheidend darauf an, ob dahinter immer ein im strafrechtlichen Sinne vorsätzliches Handeln steht. Der Gesetzgeber hat die Entschädigung nach OEG auch für den Taterfolg einer strafrechtlich als Fahrlässigkeitstat zu bewertenden Handlung gewollt, sofern die Handlung insgesamt der Gewaltkriminalität zuzurechnen ist (vgl. BT-Drucks 7/2506, S. 14).

 

Rdn 23

bb) Lässt sich eine "feindselige Willensrichtung" bei einer über den natürlichen Vorsatz hinausgehenden Angriffshandlung nicht feststellen, kann – alternativ – darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung (im Sinne einer gewaltsamen Einwirkung auf eine andere Person durch Einsatz körperlicher Mittel) verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat. Die einem derartigen Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat als Akt der Rechtsfeindlichkeit, der vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz zu verstehen ist (BSG NJOZ 2014, 72).

 

Rdn 24

cc) Grds. haben Eingriffe, die die körperliche Integrität eines anderen beeinträchtigen, die Tendenz, diesen zum bloßen Objekt herabzuwürdigen und missachten damit seine Persönlichkeit. Sie sind somit als rechtsfeindlich anzusehen (LSG Bayern, Urt. v. 16.3.1990 – L 10 VG 1/89). In aller Regel wird eine solche Angriffshandlung den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Le...

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