Das Wichtigste in Kürze:

1. Dass es eine Beeinflussung von Strafverfahren durch die Medien gibt, ist zwar empirisch nicht eindeutig nachgewiesen, entspricht aber dem allgemeinen Eindruck derer die mit Strafverfahren in der Praxis zu tun haben.
2. Es wird von Berufsrichtern erwartet, und im Allgemeinen angenommen, dass sie aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung gegenüber Beeinflussungen durch Medien praktisch resistent sind bzw. sein sollten.
3. Der Third-Person-Effect ("Andere-Leute-Effekt") ist ein Phänomen verzerrter Wahrnehmung und beschreibt die Tendenz vieler Menschen zu glauben, dass die Massenmedien andere stärker beeinflussen, als sie selbst. Reziproke Effekte sind wechselseitige Effekte der Medien.
4. Zur Klärung der Frage, inwieweit die Medien Einfluss auf das Strafverfahren nehmen, kann auf die Feststellungen einer empirischen Studie der Universität Mainz aus dem Jahre 2006 zurückgegriffen werden.
5. Auch schon auf das EV dürften die Medien einen Einfluss entwickeln.
 

Rdn 10

 

Literaturhinweise:

Gatzweiler, Medienberichterstattung und hieraus resultierende Verteidigungsmöglichkeiten, StraFo 199, 644, Jositsch, Medienarbeit als Bestandteil der Strafverteidigung, ZStrR 122 [2004], 115, 125

Schiller, Prozeßführung der Verteidigung und Medien, StV 2005, 177

Wehnert, Prozeßführung der Verteidigung und Medien, StV 2005, 178

s.a. Hinw. bei → Medien, Allgemeines, Teil F Rdn 2 und bei den u.a. weiterführenden Stichwörtern.

 

Rdn 11

1. Dass es eine Beeinflussung von Strafverfahren durch die Medien gibt, ist zwar empirisch nicht eindeutig nachgewiesen, entspricht aber dem allgemeinen Eindruck derer, die mit Strafverfahren in der Praxis zu tun haben. Dabei hat jeder Verteidiger im Rahmen seiner Tätigkeit mit Sicherheit schon erlebt wie sich die Prozessführung eines Richters sowie die Härte der ggf. verhängten Sanktionen ändert, sobald eine Schulklasse in der Verhandlung anwesend ist. Der Verteidiger kann sich in diesen Momenten des Eindrucks nicht erwehren, als sehe sich der Richter in der Pflicht durch Verhängung besonders harter Strafen und einer noch mehr tadelnden Urteilsbegründung generalpräventiv auf die jungen Menschen einzuwirken und sie so von der vermeintlichen Absicht der künftigen Begehung von Straftaten abzuhalten. Wenn aber schon die Anwesenheit, und der damit einhergehenden besonderen Aufmerksamkeit, den Verlauf eines Strafverfahrens bis hin zur Strafzumessung beeinflussen kann, muss mit Recht die Frage gestellt werden wie hoch die Beeinflussung bei einer zum Teil deutschlandweiten medialen Berichterstattung, und der damit einhergehenden extremen Aufmerksamkeit, ausfällt.

 

Rdn 12

2. Ausweislich des DRiG ist ein Richter unabhängig und nur dem Gesetzunterworfen (§ 25 DRiG). Diese gerichtliche Unabhängigkeit ist eines unserer wichtigsten Verfassungsgüter und umfasst auch die Unabhängigkeit gegenüber den Medien. Dies bedeutet das Gerichte sich in ihrer Urteilsfindung nicht durch Medien beeinflussen lassen dürfen. Es wird daher von Berufsrichtern erwartet, und im Allgemeinen angenommen, dass sie aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung gegenüber Beeinflussungen durch Medien praktisch resistent sind bzw. sein sollten (vgl. u.a. EuGRZ 1991, 358, 360; EGMR, Urt. v. 5.12.2000, Craxi vs. Italien, § 104 m. Anm. Zeller media-LEX 1/2003, 52; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 6 Rn 164 m.w.N.). Diese Ansicht, dass Berufsrichter, im Gegensatz zu Laienrichter, gegenüber derartiger Beeinflussung immun sind wird in letzter Zeit jedoch auch guten Gründen durchaus kritisch gesehen (vgl. Gatzweiler StraFo 1995, 64; Jositsch ZStrR 122 [2004], 115, 125; Spühler ZBJV 130 [1994], 550, 551 f.). Auch bei bester juristischer Ausbildung und größter Erfahrung handelt es sich auch bei Berufsrichtern weiterhin um Menschen, die wie alle Menschen beeinflussbar sind und die den gewöhnlichen soziologischen und psychologischen Mechanismen unterliegen. Bei der Betrachtung der Frage inwieweit Richter durch die Medien in einem Strafverfahren beeinflusst werden, sind insbesondere der Third-Person-Effect (vgl. Rdn 13) und der reziproke Effekt (Rdn 14) von Bedeutung.

 

Rdn 13

3.a) Der Third-Person-Effect ("Andere-Leute-Effekt") ist ein Phänomen verzerrter Wahrnehmung und beschreibt die Tendenz vieler Menschen zu glauben, dass die Massenmedien andere stärker beeinflussen, als sie selbst. Der Third-Person-Effekt kann sich auf menschliches Verhalten und gesellschaftliche Prozesse auswirken, etwa durch Maßnahmen zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen oder den Ruf nach Zensur, die auf der Annahme beruhen, dass "Dritte" von den Medien besonders stark beeinflusst werden und deshalb besonderer Schutzmaßnahmen bedürften. In Experimenten ließ sich zeigen, dass Menschen glauben ihre Einstellungen, Meinungen Verhaltensweisen und Überzeugungen seien nicht, oder nur gering, von den Meinungen in den Medien, insbesondere der Werbung bestimmt, während sie anderen Fernsehkonsumenten, im Versuch eben der nicht anwesende dritte Person, je...

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