Das Wichtigste in Kürze:

1. Unmittelbare Wirkung entfaltet das der Menschenrechtsbeschwerde stattgebende Urteil nur zwischen den beteiligten Parteien.
2. Andere Staaten sind an die Urteile des EGMR faktisch gebunden, wenn sie eine entsprechende eigene Verurteilung vermeiden wollen.
3. Darüber hinausgehend entfalten Urteile des EGMR innerstaatliche Wirkung über den Einzelfall hinaus dadurch, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt, einschlägige Urteile in die rechtliche Prüfung und Auseinandersetzung miteinzubeziehen.
4. Der EGMR hat die Wirkung seiner Urteile durch die sogenannte Piloturteilstechnik erweitert, durch die er bei strukturellen nationalen Problemen auf deren Behebung hinwirkt.
5. Die Überwachung des Vollzugs eines rechtskräftigen Urteils des EGMR erfolgt durch das Ministerkomitee.
6. Die Auslegung seiner Urteile erfolgt durch den EGMR, der hierzu durch das Ministerkomitee und die Parteien angerufen werden kann.
 

Rdn 336

 

Literaturhinweise:

Breuer, Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR, EuGRZ 2004, 257

ders., Urteilsfolgen bei strukturellen Problemen – Das erste "Piloturteil" des EGMR, EuGRZ 2004, 445

ders., Das Recht auf Individualbeschwerde zum EGMR im Spannungsfeld zwischen Subsidiarität und Einzelfallgerechtigkeit, EuGRZ 2008, 121

Caflisch, Rechtsfolgen von Normenkontrollen – Die Rechtsprechung des EGMR: Die Technik der Pilotfälle, EuGRZ 2006, 521

Cremer, Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen, EuGRZ 2004, 683

ders., Freiheitsentzug und Zwangsbehandlung in einer Privatklinik, Rechtskraftdurchbrechung und (mittelbare) Drittwirkung der EMRK, EuGRZ 2008, 562

Esser, Die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im nationalen Recht – ein Beispiel für die Dissonanz völkerrechtlicher Verpflichtungen und verfassungsrechtlicher Vorgaben?, StV 2005, S. 348

Garlicki/Westerdiek, Rechtsfolgen von Normenkontrollen – Die Rechtsprechung des EGMR: Das klassische Umfeld, EuGRZ 2006, 517

Grabenwarter, Grundrechtsvielfalt und Grundrechtskonflikte im europäischen Mehrebenensystem – Wirkungen von EGMR-Urteilen und der Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten, EuGRZ 2011, 229

Masuch, Zur fallübergreifenden Bindungswirkung von Urteilen des EGMR, NVwZ 2000, 1266

Meyer-Ladewig/Petzold, Die Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR, NJW 2005, 15

Nicolaou, The New Perspective of the EurCourtHR on the Effectiveness of its Judgment, in: Festschrift für Renate Jaeger, S. 163

Okresek, Die Umsetzung der EGMR-Urteile und ihre Überwachung – Probleme der Vollstreckung und der Behandlung von Wiederholungsfällen, EuGRZ 2003, 168

Papier, Umsetzung und Wirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Perspektive der nationalen deutschen Gerichte, EuGRZ 2006, 1

Ress, Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen des Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996, 350

Ruffert, Die Europäische Menschenrechtskonvention und innerstaatliches Recht, EuGRZ 2007, 245

Schmahl, Piloturteile des EGMR als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, EuGRZ 2008, 369

Stöcker, Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Bundesrepublik, NJW 1982, 1905

Weigend, Die Europäische Menschenrechtskonvention als deutsches Recht – Kollisionen und ihre Lösung, StV 2000, 384

s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.

 

Rdn 337

1.a) Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten zur Befolgung eines Urteils, wenn sie selbst Partei des zugrunde liegenden Verfahrens gewesen sind. Sachlich ist diese Bindungswirkung auf den konkret entschiedenen Fall, wie er durch Sachverhalt und Beschwerdevorbringen konkretisiert ist, begrenzt (Cremer EuGRZ 2004, 659 f.). Handlungspflichten entstehen für den belangten Vertragsstaat naturgemäß nur, wenn er verurteilt wird, der EGMR also eine Konventionsverletzung erkannt hat. Dann hat der Staat den Zustand wiederherzustellen, der vor der Konventionsverletzung bestand (restitutio in integrum) (EGMR, Urt. v. 8.4.2004 – 71503/01 [Assanidze/Georgien Nr. 198], NJW 2005, 2207). Bereits eingetretene Konventionsverletzungen muss er beseitigen und noch fortdauernde beenden.

 

Rdn 338

b) Ggf. muss er hierfür Gesetze, deren Anwendung oder deren Auslegung, eine Verwaltungspraxis, seine Rspr. oder anderes ändern (ausführlich Karpenstein/Mayer/Breuer, Art. 46 EMRK Rn 33 ff.). In der Wahl seiner Mittel ist der betroffene Vertragsstaat grds. frei, soweit die gefundenen Lösungen mit dem Urteil des EGMR in Einklang stehen (EGMR, Urt. v. 26.2.2004 – 74969/01 [Görgülü/Deutschland Nr. 64], NJW 2004, 3397). Der EGMR setzt voraus, dass der Staat die allgemeinen oder individuellen Maßnahmen ergreift, die nach seinem Recht ergriffen werden müssen, um die beanstandete Konventionsverletzung zu beenden und zu beseitigen (EGMR, Urt. v. 8.4.2004 – 71503/01 [Assanidze/Georgien Nr. 198], NJW 2005, 2207).

 

Rdn 339

c) Soweit eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vor Eintritt der Konventionsverletzung nicht...

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