Das Wichtigste in Kürze:

1. Bei der Entscheidung über einen haftrechtlichen Rechtsbehelf steht dem Richter eine umfassende Entscheidungskompetenz zu.
2. Der Haftbefehl bzw. die jeweils weiter gehende Haftentscheidung gründen sich inhaltlich auf drei Säulen, nämlich auf dringenden Tatverdacht, einen Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit der U-Haft.
3. Von einem dringenden Tatverdacht ist auszugehen, wenn nach dem bisher vorliegenden Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit eine erhebliche, hohe oder große Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist.
4. Weiter bedarf es eines (gesetzlich normierten) Haftgrundes.
5. Die U-Haft muss verhältnismäßig sein.
 

Rdn 965

 

Literaturhinweise:

Mayer/Hunsmann, Leitlinien für die verfassungsrechtlich gebotene Begründungstiefe in Untersuchungshaftsachen, NStZ 2015, 325

s.a. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil B Rdn 807.

 

Rdn 966

1. Bei der Entscheidung über einen haftrechtlichen Rechtsbehelf steht dem Richter eine umfassende Entscheidungskompetenz zu. Er kann den Haftbefehl aufrechterhalten, gem. § 120 aufheben oder entsprechend § 116 außer Vollzug setzen. Er kann ihn auch inhaltlich ändern oder anpassen (KK-Graf, § 117 Rn 11; LR-Hilger, § 117 Rn 28; Meyer-Goßner/Schmitt, § 117 Rn 6; sinngemäß ebenso Schlothauer/Weider, Rn 785). An Anträge und Anregungen ist er nicht gebunden.

 

Rdn 967

2. Der Haftbefehl bzw. die jeweils weiter gehende Haftentscheidung gründen sich inhaltlich auf drei Säulen: Es bedarf eines dringenden Tatverdachts (§ 112 Abs. 1) sowie des Vorliegens mindestens eines der gesetzlich normierten Haftgründe (§§ 112 Abs. 2, Abs. 3 und § 112a), darüber hinaus darf die U-Haft nicht unverhältnismäßig sein (§ 112 Abs. 1 S. 2). Ein Sonderfall gilt für die in § 112 Abs. 3 geregelten Fälle der Schwerkriminalität. Dort bedarf es keines Haftgrundes nach § 112 Abs. 2. U-Haft kann insofern schon aufgrund der Umstände des Falles selbst angeordnet werden.

 

☆ Zum Gegenstand der Überprüfung der Haftentscheidung ist der gesamte Inhalt der Ermittlungsakte zu machen. Das Gericht hat hierbei stets eine neue, selbstständige Prüfung vorzunehmen (OLG Jena StV 2007, 588).Gegenstand der Überprüfung der Haftentscheidung ist der gesamte Inhalt der Ermittlungsakte zu machen. Das Gericht hat hierbei stets eine neue, selbstständige Prüfung vorzunehmen (OLG Jena StV 2007, 588).

 

Rdn 968

3.a) Von einem dringenden Tatverdacht ist auszugehen, wenn nach dem bisher vorliegenden Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit eine erhebliche, hohe oder große Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist (s. z.B. BVerfG NJW 1996, 1049; BGH NJW 1992, 1975 m. Anm. Baumann NStZ 1992, 449 u. Anm. Schroeder JZ 1992, 976; OLG Bremen StV 2010, 581; KK-Graf, § 112, Rn 3; Herrmann, Rn 581; SSW-StPO/Herrmann, § 112 Rn 6; LR-Hilger, § 112 Rn 16; AnwKomm-U-Haft/König, § 112 Rn 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 112 Rn 5; Schlothauer/Weider, Rn 413; MAH-König, § 4 Rn 2; Burhoff, EV, Rn 3695, 3709 ff.).

 

Rdn 969

Ob dies der Fall ist, hängt vom jeweiligen Stand der Ermittlungen und auch des Verfahrens ab. Während etwa zu Beginn eines EV Indizien vorhanden sein können, die einen dringenden Tatverdacht begründen, kann er später wegfallen, wenn Lücken in der Indizienkette auftreten, sodass keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr dafür besteht, dass der Beschuldigte in einer HV überführt werden kann (OLG Brandenburg StV 1996, 157; LR-Hilger, § 112 Rn 19). Dies gilt z.B. auch dann, wenn die Strafverfolgungsbehörden gebotene Untersuchungen unterlassen haben (OLG Celle StV 1986, 392; OLG Karlsruhe StV 2004, 325).

 

Rdn 970

b) Die Anordnung der U-Haft basiert in der Praxis nicht selten auf einer bedenklich weiten Ausdehnung des Begriffs des dringenden Tatverdachts (ausführlich SSW-StPO/Herrmann, § 112 Rn 8). Es kommt vor, dass der zunächst nicht vorliegende dringende Tatverdacht sich erst aus einem aufgrund der Verhaftung abgelegten Geständnis des Beschuldigten ergibt.

 

☆ Eine solche Praxis ist rechtlich nicht zulässig. Das Strafverfahren kennt keinen Geständniszwang (BGHSt 49, 56; BGH StraFo 2011, 60). Weder Anordnung noch Fortdauer der U-Haft dürfen davon abhängig gemacht werden, dass der Beschuldigte gesteht. Die objektiv rechtswidrige Anordnung des Vollzuges der U-Haft begründet ein Verwertungsverbot der Angaben des Beschuldigten, die dieser dann in der U-Haft gemacht hat (LG Bad Kreuznach StV 1993, 629 [Fall Glykol-Skandal ]; das Urteil wurde allerdings vom BGH in der Revision aufgehoben und an das LG Koblenz zurückverwiesen). Voraussetzung für ein Verwertungsverbot soll sein, dass die U-Haft absichtlich ( gezielt ) als Mittel zur Erlangung einer Aussage angewandt worden sei (BGH NJW 1995, 2933 m. krit. Anm. Fezer StV 1996, 77 und Anm. Samson StV 1996, 93; zu unzulässigen Vernehmungsmethoden s.  Burhoff , EV, Rn 3767 ff.; vgl. a. noch Rdn  975 ).Geständniszwang (BGHSt 49, 56; BGH StraFo 2011, 60). Weder Anordnung noch Fortdauer der U-Haft dürfe...

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