Das Wichtigste in Kürze:

1. Eine oberste Dienstbehörde kann Beweismittel nach § 96 StPO sperren und so die Beweiserhebung in der HV verhindern.
2. Hiervon zu unterscheiden sind (einfache) Vertraulichkeitszusagen der Ermittlungsbehörden; sie haben auf das Strafverfahren keinen Einfluss.
3. Anders als das Gericht und die StA haben die übrigen Beteiligten des Strafprozesses die Möglichkeit, eine Sperrerklärung gerichtlich anzugreifen.
4. Für die Klage gegen eine Sperrerklärung ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
 

Rdn 677

 

Literaturhinweise:

Arloth, Vorlage von Behördenakten zum Strafverfahren

Geheimhaltungsbedürftigkeit von Verfassungsschutzakten, Anm. zu BVerwG Urt. v. 19.8.1986 – 1 C 7/85, NStZ 1987, 520

ders., Zur Aufhebung einer Sperrerklärung, Anm. zu OLG Stuttgart Beschluss v. 23.7.1990 – 4 VAs 21/90, NStZ 1992, 96

Detter, Einige Gedanken zu audiovisueller Vernehmung, V-Mann in der Hauptverhandlung und der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache El Motassadeq, StV 2006, 544

Ellbogen, Anfechtung der behördlichen Verweigerung einer Aussagegenehmigung durch die Staatsanwaltschaft?, NStZ 2007, 310

Gaede, Die besonders vorsichtige Beweiswürdigung bei der exekutiven Sperrung von Beweismaterial im Konflikt mit dem Offenlegungsanspruch des Art. 6 I 1 EMRK, StraFo 2004, 195

ders., Schranken des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 EMRK bei der Sperrung verteidigungsrelevanter Informationen und Zeugen, StV 2006, 599

Safferling, Verdeckte Ermittler im Strafverfahren – deutsche und europäische Rechtsprechung im Konflikt?, NStZ 2006, 75

vgl. auch noch die Hinw. bei Burhoff, EV, Rn 2118

3814, 4179, und bei Burhoff, HV, Rn 3337.

 

Rdn 678

1.a) Nach § 96 S. 1 kann die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken an das Strafgericht verweigert werden, wenn die jeweilige oberste Dienstbehörde diese für das Verfahren sperrt. Die Vorschrift bezieht sich ihrem Wortlaut nach zwar allein auf Urkunden. Sie wird jedoch sowohl auf andere Gegenstände, die sich in behördlicher Verwahrung befinden, analog angewendet, als auch auf Auskünfte über Namen und Anschrift von Zeugen, um die das Gericht die Behörde ersucht, die diese aber geheim zu halten beabsichtigt (vgl. nur BGHSt 29, 390, 393; KK-Greven, § 96 Rn 6 f.).

 

Rdn 679

b) Die Sperrung eines im öffentlichen Dienst beschäftigten Zeugen ist abzugrenzen von der (bloßen) Nichterteilung einer Aussagegenehmigung nach § 54 Abs. 1 in Verbindung mit den jeweiligen beamtenrechtlichen Vorschriften (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 636 ff., und Burhoff, HV, Rn 409 ff.). Denn die Sperrerklärung nach § 96 verhindert nicht nur die Aussage des Beamten vor Gericht, sondern macht, da der Name des Ermittlers dem Gericht nicht offenbart wird, bereits seine Identifizierung und Ladung unmöglich. Für Verdeckte Ermittler i.S.v. § 110a Abs. 2, also unter einer Legende ermittelnde Polizeibeamte, ordnet § 110b Abs. 3 ausdrücklich die Möglichkeit einer Geheimhaltung ihrer Identität "nach Maßgabe" des § 96 an. § 110b Abs. 3 S. 3 konkretisiert dabei über § 96 hinaus die Gründe, die für eine Verweigerung der Offenbarung in Betracht kommen können. So ermöglichen "insbesondere" eine zu besorgende Gefahr für den Ermittler oder andere Personen oder die Gefährdung seiner weiteren Verwendungsmöglichkeit eine Geheimhaltung.

 

Rdn 680

c) Schließlich kommt eine Sperrerklärung analog § 96 auch in Betracht bei der beabsichtigten Inaugenscheinnahme geheimhaltungsbedürftiger Gegenstände (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2008, 315; zu Einzelh., insbesondere zur Einführung gesperrter Beweismittel und zu ihrer Verwertung, vgl. Burhoff, HV, Rn 411 ff., 3336 ff.

 

Rdn 681

2. Von einer Sperrerklärung nach § 96 zu unterscheiden sind Vertraulichkeitszusagen, die die Ermittlungsbehörde Informanten gegenüber abgibt, die als Zeugen in Betracht kommen. Grundlage solcher Zusagen sind insbesondere die Gemeinsamen Richtlinien der Justiz- und Innenminister der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung (Anlage D zu den RiStBV).

 

Rdn 682

Derartige Zusagen binden die Strafgerichte nicht (BGHSt 30, 34, 35 ff.; 35, 82, 85; StV 2001, 214). Solange keine Sperrerklärung der obersten Dienstbehörde nach § 96 vorliegt, darf das Gericht den Zeugen daher nicht als unerreichbar ansehen und auf seine Vernehmung gerichtete Beweisanträge nach § 244 Abs. 3 Alt. 5 ablehnen. Auch die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) kann zu einer Vernehmung des Zeugen drängen. Wenn der Name und die Anschrift des Zeugen nicht auf andere Weise ermittelt werden können, hat das Gericht die notwendigen Informationen von der Behörde, also insbesondere der StA oder der Polizei, herauszuverlangen. Die Behörde darf die Herausgabe der Informationen nicht verweigern (BGH StV 2001, 214; KK-Greven, § 96 Rn 2).

 

Rdn 683

3. Eine Sperrerklärung beeinträchtigt die Aufklärung des strafrechtlich relevanten Sachverhalts und damit die Wahrheitsfindung ...

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