Das Wichtigste in Kürze:

1. Bei Auslegung und Umdeutung handelt es sich um die praktische Umsetzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Bereich des § 300.
2. Der Auslegung zugrunde zu legen ist insbesondere der gesamte Inhalt der abgegebenen Erklärungen.
3. Auszulegen ist eine (Rechtsmittel-/Rechtsbehelfs-)Erklärung, wenn gegen die gerichtliche Entscheidung mehrere Rechtsmittel/Rechtsbehelfe zulässig sind oder ein Rechtsmittel/Rechtsbehelf mit unterschiedlichen Zielrichtungen möglich ist.
4. Eine Umdeutung ist vorzunehmen, wenn sich aus der Erklärung des Rechtsmittelführers dessen Ziel eindeutig feststellen lässt, dieses aber nicht mithilfe des von ihm eingelegten Rechtsmittels, sondern nur auf andere Weise erreicht werden kann.
 

Rdn 1313

 

Literaturhinweise:

→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Allgemeines, Teil A Rdn 1290.

 

Rdn 1314

1. Bei Auslegung und Umdeutung handelt es sich um die praktische Umsetzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Bereich des § 300, der vorschreibt, dass die Falschbezeichnung eines Rechtsmittels/Rechtsbehelfs dem Erklärungsverfasser nicht zum Nachteil gereichen darf. Auslegung und Umdeutung sind nur möglich, wenn feststeht, dass der Erklärende eine gerichtliche Entscheidung anfechten will (vgl. u.a. OLG Naumburg, Beschl. v. 5.7.2005 – 1 Ws 367/05; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Bezeichnung, Teil A Rdn 1396 ff.). Beide erfolgen nach dem Prinzip der Meistbegünstigung; im Zweifel hat das Gericht die Deutung so vorzunehmen, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreicht werden kann.

 

☆ Würde das Gericht nämlich den Verfahrensgegenstand in einer Weise auslegen, die das vom Rechtsmittelführer erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel ganz oder in wesentlichen Teilen außer Betracht lässt, würde darin eine Rechtswegverkürzung liegen, die den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzen würde. (BVerfG NVwZ 2005, 1304).Rechtswegverkürzung liegen, die den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzen würde. (BVerfG NVwZ 2005, 1304).

 

Rdn 1315

2.a) Der Auslegung zugrunde zu legen sind der gesamte Inhalt der abgegebenen Erklärungen, die Umstände, unter denen die Erklärung zustande kam und die Person des Erklärenden. Anhand dieser Kriterien ist die Erklärung stets unter besonderer Berücksichtigung des durch den Rechtsmittelführer erstrebten Erfolgs betrachten (OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.4.2010 – 1 St OLG Ss 39/10).

 

☆ Für die Auslegung einer Erklärung ist jedoch dann kein Raum, wenn der Angeklagte über die zulässigen Rechtsmittel mündlich und durch Aushändigung eines Merkblatts zutreffend und wirksam belehrt worden ist und er daraufhin ein konkret bezeichnetes Rechtsmittel einlegt (OLG Köln NStZ-RR 2011, 283).Merkblatts zutreffend und wirksam belehrt worden ist und er daraufhin ein konkret bezeichnetes Rechtsmittel einlegt (OLG Köln NStZ-RR 2011, 283).

 

Rdn 1316

b) Einer Unterscheidung bedarf es dabei, ob es sich bei dem Rechtsmittelverfasser um einen Juristen oder um einen juristischen Laien handelt, da es auch bei Wortgleichheit oder Begriffsähnlichkeit aus Sicht des Rechtsmittelgerichts einen Unterschied macht, wer die Rechtsmittelerklärung abgegeben hat (vgl. KG StraFo 2012, 25).

 

Rdn 1317

Dies gewinnt etwa Bedeutung bei Berufungen der StA, wenn sie das Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (vgl. Nr. 156 Abs. 1 RiStBV), tatsächlich aber den Schuldspruch angreifen will (OLG Oldenburg NStZ-RR 1996, 77). In einer derartigen Konstellation ist der Erklärung über die Beschränkung der Vorrang vor der Begründung des Rechtsmittels einzuräumen, sodass für eine Auslegung kein Raum bleibt (BayObLG NStZ-RR 2000, 379). Dies gilt aber auch für den Verteidiger, wenn er das im Hinblick auf das Rechtsmittelziel unzutreffende Rechtsmittel einlegt (OLG Hamm, Beschl. v. 24.6.2008 – 3 Ss 230/08; OLG Nürnberg NStZ-RR 2007, 151).

 

Rdn 1318

3.a) Auszulegen ist eine (Rechtsmittel-/Rechtsbehelfs-)Erklärung, wenn gegen die gerichtliche Entscheidung mehrere Rechtsmittel/Rechtsbehelfe zulässig sind oder ein Rechtsmittel/Rechtsbehelf mit unterschiedlichen Zielrichtungen möglich ist.

 

Rdn 1319

b) Eine Mehrheit von Anfechtungsmöglichkeiten besteht in einer ganzen Reihe von Konstellationen (→ Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Wahlmöglichkeit, Teil A Rdn 1836 ff.). Es hängt dann vom Inhalt der Erklärung ab, welcher Rechtsbehelf dem erklärten Willen am ehesten zum Erfolg verhilft. Hinterlässt z.B. der Inhalt einer Erklärung, mit der der Angeklagte Revision statt Berufung einlegt Zweifel, die auch durch eine Auslegung nicht behoben werden können, so hat es bei der Berufung zu verbleiben, da diese die umfassendere Nachprüfung des Urteils erlaubt (OLG Hamm NJW 2003, 1469).

 

Rdn 1320

b) Zu berücksichtigen ist auch, ob Rechtsmittel/Rechtsbehelf mit unterschiedlichen Zielrichtungen möglich sind. Wurde z.B. der Einspruch gegen einen Strafbefehl wegen Ausbleibens in der HV verworfen, wogegen der Angeklagte "Widerspruch" einlegt und in der Begründung einen Ladungsmangel geltend macht, kann dies entweder...

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