Rdn 577

 

Literaturhinweise:

Bringewat, Gerichtliches Nachtragsverfahren gem. §§ 460, 462 StPO und das prozessuale Verschlechterungsverbot, NStZ 2009, 542

Drees, Gilt das Verbot der Schlechterstellung auch dann, wenn das Rechtsmittelgericht das Verfahren wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses einstellt?, StV 1995, 669

Meyer-Goßner, Anm. zu OLG München NJW 2008, 1331, NJW 2008, 1332

ders., Sachliche Unzuständigkeit und Verschlechterungsverbot, in: FS für Klaus Volk zum 65. Geburtstag, München 2009, S. 455 f.

ders., Über das Zusammentreffen verschiedener Rechtsmittel, in: FS für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag am 16.10.2002, 2002, S. 650 ff.

Mosbacher, Aktuelles Strafprozessrecht, JuS 2009, 124

s.a. die Hinw. bei → Beschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 400.

 

Rdn 578

1. Das Verschlechterungsverbot hindert eine Abänderung zum Nachteil des Rechtsmittelführers nur dort, wo das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt (§§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2); denn das Verbot folgt nicht unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), sondern stellt lediglich eine kodifizierte Rechtswohltat dar.

 

☆ Daraus folgt, dass – mangels Kodifizierung im Recht der Beschwerde – das Verschlechterungsverbot dort nicht gilt (h.M.: Meyer-Goßner/Schmitt , vor § 304 Rn 3 m.w.N.); eine analoge Anwendung der genannten Vorschriften auf die Beschwerde scheidet mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke aus (LG Berlin NJW 2000, 3796).Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 304 Rn 3 m.w.N.); eine analoge Anwendung der genannten Vorschriften auf die Beschwerde scheidet mangels Planwidrigkeit der Regelungslücke aus (LG Berlin NJW 2000, 3796).

 

Rdn 579

2. Ausgehend von dem vorgenannten Grundsatz hat die Rechtsprechung jedoch Ausnahmen entwickelt, die – neben der Abänderung einer Haftverschonungsentscheidung – vorwiegend Sachentscheidungen betreffen, die urteilsgleiche Wirkungen entfalten.

 

Rdn 580

a) In den Fällen des § 116 Abs. 4 darf die erfolgte Haftverschonung jedenfalls dann im Beschwerdeverfahren nicht zurückgenommen werden, wenn sich die Umstände im Vergleich zum Zeitpunkt der ausgesprochenen Haftverschonung nicht geändert haben (BVerfG StV 2006, 26). Dies gilt auch, wenn schon zum damaligen Zeitpunkt mit der später ausgesprochenen – auch höheren – Strafe zu rechnen war, der Beschuldigte aber die ihm erteilten Auflagen korrekt befolgt hat (BGH NStZ 2005, 279, 280). Allein das Abstellen auf die nunmehr verhängte – hohe – Strafe verletzt Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG (BVerfG StV 2008, 25; OLG Nürnberg StraFo 2011, 224). Deshalb ist auch ein "Nachschlag" bei der Kaution nicht zulässig (OLG Frankfurt/Main StV 2010, 586 [Ls.]).

 

☆ Wurde eine Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt (§ 67g StGB), soll dies dagegen nicht gelten (OLG Hamburg NStZ-RR 2007, 250).Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt (§ 67g StGB), soll dies dagegen nicht gelten (OLG Hamburg NStZ-RR 2007, 250).

 

Rdn 581

b) Die Wirkung eines Urteils kann auch ein Beschluss haben, wenn er eine eigenständige Sachentscheidung zu Rechtsfolgen enthält, die in materielle Rechtskraft erwachsen kann.

 

Rdn 582

Bejaht wurde dies bei

Anrechnung ausländischer Freiheitsentziehung (§ 51 StGB; vgl. Fischer, § 51 Rn 28);

Anrechnung erbrachter Leistungen bei Bewährungswiderruf (§ 56f Abs. 3 S. 2 StGB)

zugunsten der Staatskasse (OLG Hamm NStZ 1996, 303),
bei Schadenswiedergutmachung (OLG Hamm OLGSt StGB § 56f Nr. 40);
Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe (§ 57a StGB): Lehnt die Strafvollstreckungsbehörde die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe ab, spricht aber gleichzeitig aus, dass die Schwere der Schuld des Verurteilten eine weitere Vollstreckung der Strafe nicht mehr gebiete, so ist es geboten, auf diesen Ausspruch im Verfahren der Beschwerde der Verurteilung das Verschlechterungsverbot anzuwenden (OLG Hamm NStZ 1994, 53);
Ordnungsmittelbeschlüssen (OLG Hamm MDR 1960, 946).
 

Rdn 583

Verneint wird dies inzwischen bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 460; unklar Meyer-Goßner/Schmitt, bejahend § 460 Rn 24, verneinend § 460 Rn 19). Nach § 55 StGB ist die Gesamtstrafe zwingend nachträglich zu bilden, wenn – aus welchem Grund auch immer – ihre Bildung (§§ 53, 54 StGB) bislang unterblieben war; denn der Sinn des Gesamtstrafenprinzips liegt in der Ausschaltung von Verfahrenszufälligkeiten (was wurde wann durch welches Gericht abgeurteilt) und damit in der Gleichbehandlung aller Verurteilten: Niemand soll dadurch besser oder schlechter gestellt werden, dass seine Taten nicht in einem Verfahren abgeurteilt worden sind (BGH, Beschl. v. 17.6.2003 – 2 StR 105/03 m.w.N.).

 

☆ Dies kann zu einer Erhöhung des Strafübels insbesondere dann führen, wenn aufgrund einer unerledigten Verurteilung eine Zäsurwirkung (vgl. Fischer § 55 StGB Rn 9) eingetreten ist (LG Lüneburg NStZ 2009, 573).Erhöhung des Strafübels insbesondere dann führen, wenn aufgrund einer "unerledigten" Verurteilung eine...

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