Das Wichtigste in Kürze:

1. Untätigkeit liegt vor, wenn Strafverfolgungsorgane nicht handeln, obwohl ihnen Gesetze die Verpflichtung auferlegen, entweder von Amts wegen oder aufgrund eines Antrags eine Entscheidung zu erlassen.
2. Kodifiziertes Recht zur Untätigkeitsbeschwerde fehlt.
3. Nach dem Inkrafttreten des "Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" v. 24.11.2011 (BGBl I, S. 2302) wird die Auffassung vertreten, die Untätigkeitsbeschwerde habe "keinen Spielraum" mehr.
4. Das Gericht spricht im Rahmen der Beschwerdeentscheidung ggf. die Verpflichtung für das zuständigen Gerichts aus, die Entscheidung zu erlassen.
 

Rdn 561

 

Literaturhinweise:

Althammer/Schäuble, Effektiver Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer – Das neue Gesetz aus zivilrechtlicher Perspektive, NJW 2012, 1

Brummund, Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, JA 2012, 213

Burhoff, Verfahrensverzögerung, überlange Gerichtsverfahren und Verzögerungsrüge – die Neuregelungen im GVG, StRR 2012, 4

Gimbel, Einführung einer allgemeinen Untätigkeitsbeschwerde im Strafprozess durch Gesetz. Begrüßenswerte Neuerung oder Irrweg?, ZRP 2004, 35

Graf, Das neue Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – Beschleunigungsimpuls für die Praxis oder neuer Anreiz für Verständigungen im Strafverfahren?, NZWiSt 2012, 121

Graßmann, Rechtsbehelfe gegen Unterlassen im Strafverfahren, 2004

Hoffmann, Die Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bei Nichtentscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens – Versuch einer Grenzziehung, NStZ 2006, 256

Kotz, Auch wer schläft, sündigt! – Ein Weckruf an den Gesetzgeber zur Anpassung des deutschen Rechts an Art. 6, 13 EMRK, ZRP 2011, 85

ders., Verzögerungsrüge als Fallbeil für die Untätigkeitsbeschwerde?, StRR 2012, 207

Kühne, Anmerkung zu OLG Köln StraFo 2009, 205, StV 2009, 654

Redeker, Kann eine Untätigkeitsbeschwerde helfen?, NJW 2003, 488

Roller, Der Gesetzesentwurf eines Untätigkeitsbeschwerdegesetzes, DRiZ 2007, 82

ders., Möglichkeiten des Gesetzgebers zu einer Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, ZRP 2008, 122

Rolletschke, Anmerkung zu zwei Entscheidungen des BGH vom 24.1.2012 (1 StR 551/11, NZWiSt 2012, 157 und 1 StR 636/11, NZWiSt 2012, 157) – Zur Verfahrensverzögerung und der überlangen Verfahrensdauer im Rahmen der Strafzumessung –, NZWiSt 2012, 160

Sommer, Die Verzögerungsrüge: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Die neuen §§ 198 – 201 GVG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, StV 2012, 107

Steinbeiß-Winkelmann, Die Verfassungsbeschwerde als Untätigkeitsbeschwerde, NJW 2008, 1783

Waßmer, Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen im Strafverfahren als Verfahrenshindernis von Verfassungs wegen, ZStW 118, 159

Wirringer, Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft [Anm. zu OLG Frankfurt/Main 3 Ws 986/01], NStZ 2002, 389

s.a. die Hinw. bei → Beschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 400.

 

Rdn 562

1. Untätigkeit liegt vor, wenn Strafverfolgungsorgane nicht handeln, obwohl ihnen Gesetze die Verpflichtung auferlegen, entweder von Amts wegen oder aufgrund eines Antrags eine Entscheidung zu erlassen. Die Verknüpfung von “Untätigkeit’ und “Beschwerde’ führt dabei zu einer systematischen Inkompatibilität, weil sich die Beschwerde ihrem Rechtsmittelcharakter nach gegen eine bereits erlassene Entscheidung richtet (→ Beschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 413), die durch das Beschwerdegericht auf ihre Rechtmäßigkeit und Richtigkeit hin überprüft und ggf. durch dieses sogar ersetzt wird, es bei Untätigkeit aber gerade an einer solchen Ausgangsentscheidung fehlt. Die "Untätigkeitsbeschwerde" richtet sich deshalb nicht abstrakt gegen das Nichthandeln des Gerichts, sondern gegen das Unterlassen einer konkreten Entscheidung, wenn es der Verweigerung einer endgültigen Sachentscheidung entspricht (BGH NJW 1993, 1279; OLG Düsseldorf MDR 1988, 164).

 

Rdn 563

Dogmatisch setzt die Untätigkeitsbeschwerde das Unterlassen einer (gebotenen) Entscheidung, die im Fall ihres Ergehens anfechtbar wäre, voraus. Das Unterlassen (§ 13 StGB) muss einer (endgültigen) Sachentscheidung gleichkommen.

 

Rdn 564

2.a) Kodifiziertes Recht zur Untätigkeitsbeschwerde fehlt. Ebenso wenig wie im Zivil- und im Verwaltungsprozessrecht, im Sozialrechtsstreit oder im Finanzprozess ist ein derartiges Rechtsmittel im Strafverfahrensrecht vorgesehen. Bereits 2006 musste der EGMR (NJW 2006, 2389 Sürmeli ./. Deutschland) feststellen, dass die Untätigkeitsbeschwerde keinen wirksamen Rechtsbehelf i.S.v. Art. 13 MRK darstelle, weil sie als außerordentlicher Rechtsbehelf die von Art. 13 geforderten Voraussetzungen nicht erfülle, da sie bislang lediglich vereinzelt anerkannt werde und ganz unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen habe. Die Bundesregierung hatte in diesem Verfahren auf ihren Gesetzesentwurf vom 22....

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