Das Wichtigste in Kürze:

1. Die praktisch am häufigsten vorkommende Begründung für das Fernbleiben von der HV ist die Erkrankung des Angeklagten.
2. Führt die Erkrankung zur Verhandlungsunfähigkeit, entschuldigt sie den Angeklagten regelmäßig, schon weil dieser aus Art. 6 Abs. 3 Buchst c EMRK (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ein Recht darauf hat, sich vor Gericht selbst zu verteidigen.
3. Das Ausbleiben des Angeklagten in der HV ist aber auch dann entschuldigt, wenn er das seinem Erscheinen in der HV entgegenstehende Hindernis selbst herbeigeführt hat.
4. Eine Erkrankung entschuldigt den Angeklagten nicht nur dann, wenn er nicht verhandlungs- oder reiseunfähig ist; vielmehr genügt es, wenn das Erscheinen vor Gericht wegen der Erkrankung unzumutbar ist.
 

Rdn 156

 

Literaturhinweise:

s. die Hinw. bei → Berufung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil A Rdn 58.

 

Rdn 157

1. Die praktisch am häufigsten vorkommende Begründung für das Fernbleiben von der HV ist die Erkrankung des Angeklagten, also die Geltendmachung einer Befindlichkeits- oder Funktionsstörung von Körper oder Seele. Bei psychischen Erkrankungen kann das Berufungsgericht die ärztlicherseits attestierte Verhandlungsunfähigkeit i.d.R. nicht mit eigener Sachkunde verneinen (BayObLG, Beschl. v. 14.2.2002 – 5St RR 21/02).

 

☆ Die Rspr . der Obergerichte zum Begriff der genügenden Entschuldigung i.S. des § 329 a.F. für das Ausbleiben des Angeklagten infolge Erkrankung ist auch nach der Neuregelung des § 329 weiter anwendbar . Insoweit haben sich keine Änderungen in der StPO ergeben.Rspr. der Obergerichte zum Begriff der "genügenden Entschuldigung" i.S. des § 329 a.F. für das Ausbleiben des Angeklagten infolge Erkrankung ist auch nach der Neuregelung des § 329 weiter anwendbar. Insoweit haben sich keine Änderungen in der StPO ergeben.

Neu ist allerdings, dass dann, wenn die Berufung wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 verworfen werden soll, das Gericht einen Arzt als Sachverständigen hören muss (§ 329 Abs. 1 S. 3). Die Anhörung kann im Freibeweisverfahren erfolgen (Spitzer StV 2016, 48, 53).

 

Rdn 158

2. Führt die Erkrankung zur Verhandlungsunfähigkeit, entschuldigt sie den Angeklagten regelmäßig, schon weil dieser aus Art. 6 Abs. 3 Buchst c EMRK (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ein Recht darauf hat, sich vor Gericht selbst zu verteidigen.

 

☆ Dem verhandlungs unfähigen Angeklagten kann nicht vorgeworfen werden, eine die Verhandlungsunfähigkeit beseitigende Therapie wegen erheblicher Eingriffe in seine körperliche Integrität oder seine Persönlichkeitsrechte unterlassen (BVerfGE 89, 120 = StV 1993, 620; BayObLG NJW 1999, 3424; OLG Köln NStZ-RR 2009, 86; a.A. zu § 231a LG Lüneburg NStZ-RR 2010, 211) oder einen Facharzt nicht rechtzeitig aufgesucht zu haben (OLG Köln, Beschl. v. 12.3.2010 – 2 Ws 143/10), umso weniger, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies gerade durch den schlechten Gesundheitszustand verhindert wurde (OLG Hamm, Beschl. v. 21.11.2000 – 4 Ss 792/00). Bedenklich deshalb OLG Hamm NJW 1970, 1245, weil das Entschuldigt sein u.a. damit verneint wurde, der Angeklagte sei einer klinischen Untersuchung jahrelang ausgewichen.unfähigen Angeklagten kann nicht vorgeworfen werden, eine die Verhandlungsunfähigkeit beseitigende Therapie wegen erheblicher Eingriffe in seine körperliche Integrität oder seine Persönlichkeitsrechte unterlassen (BVerfGE 89, 120 = StV 1993, 620; BayObLG NJW 1999, 3424; OLG Köln NStZ-RR 2009, 86; a.A. zu § 231a LG Lüneburg NStZ-RR 2010, 211) oder einen Facharzt nicht rechtzeitig aufgesucht zu haben (OLG Köln, Beschl. v. 12.3.2010 – 2 Ws 143/10), umso weniger, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies gerade durch den schlechten Gesundheitszustand verhindert wurde (OLG Hamm, Beschl. v. 21.11.2000 – 4 Ss 792/00). Bedenklich deshalb OLG Hamm NJW 1970, 1245, weil das Entschuldigt sein u.a. damit verneint wurde, der Angeklagte sei einer klinischen Untersuchung jahrelang ausgewichen.

 

Rdn 159

3. Das Ausbleiben des Angeklagten in der HV ist aber auch dann entschuldigt, wenn er das seinem Erscheinen in der HV entgegenstehende Hindernis selbst herbeigeführt hat, da ihm nicht zur Last gelegt werden kann, dass er bei der polizeilichen Festnahme in anderer Sache Widerstand leistete und wegen der dabei erlittenen Verletzungen eine Krankenhausbehandlung erforderlich wurde (OLG Düsseldorf StraFo 2001, 269).

 

Rdn 160

4. Eine Erkrankung entschuldigt den Angeklagten nicht nur dann, wenn er nicht verhandlungs- oder reiseunfähig ist; vielmehr genügt es, wenn das Erscheinen vor Gericht wegen der Erkrankung unzumutbar ist (OLG Düsseldorf StV 1987, 9; OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 312/15; OLG Hamm VRS 107, 206; OLG Rostock StraFo 2001, 417), was auch für den Fall gilt, dass sich der krankhafte Zustand infolge der Teilnahme an der HV verschlimmern könnte (OLG Stuttgart VRS 106, 209). Unzulässig ist es, wenn das Gericht die Zumutbarkeit des Erscheinens zum Nachteil des Beschwerdeführe...

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