Das Wichtigste in Kürze:

1. Eine Gesamtstrafenbildung – wie im allgemeinen Strafrecht – ist im Jugendstrafverfahren nicht zulässig.
2. Die Vorschrift des § 66 JGG ist anwendbar auf Jugendliche und Heranwachsende.
3. Ist die einheitliche Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe gem. § 31 JGG unterblieben, so trifft der Richter eine solche Entscheidung gem. § 66 JGG nachträglich.
4. Das aufgrund einer HV ergangene Urteil ist mit der Berufung oder Revision (nach Maßgabe der sachlichen Rechtsmittelbeschränkung nach § 55 Abs. 1 JGG) anfechtbar. Auch bei einer weiteren Straftat nach Verurteilung wird ein vorangegangenes Urteil einbezogen, sofern die Sanktion noch nicht erledigt ist und auf eine einheitliche Rechtsfolge erkannt.
5. Wird ohne HV entschieden, ergeht ein Beschluss. Gegen den ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben.
 

Rdn 519

 

Literaturhinweise:

Schweckendieck, Zur Anwendbarkeit von § 31 II JGG in der Berufungsinstanz, NStZ 2005, 141

Streng, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. 2012;s.a. die Hinw. bei → Bewährung, Jugendliche, Allgemeines, Teil A Rdn 85.

 

Rdn 520

1. Eine Gesamtstrafenbildung – wie im allgemeinen Strafrecht – ist im Jugendstrafverfahren nicht zulässig. Vielmehr gilt das Prinzip der einheitlichen Maßnahme (Einheitsprinzip; § 31 JGG). Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt der Richter nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Ist diese einheitliche Festsetzung von Maßnahmen unterblieben, kann dies nach § 66 JGG noch nachträglich geschehen.

 

Rdn 521

2. Die Vorschrift des § 66 JGG ist anwendbar auf:

Jugendliche, nach pflichtgemäßem Ermessen des Richters auch wenn sie von einem allgemeinen Gericht verurteilt werden (§ 104 Abs. 2 JGG),
Heranwachsende dann, wenn materielles Jugendstrafrecht auf sie angewendet wird (§ 105 Abs. 2 S. 1 JGG).
 

Rdn 522

3.a) Ist die einheitliche Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe gem. § 31 JGG unterblieben, so trifft der Richter eine solche Entscheidung gem. § 66 JGG nachträglich. Die Entscheidung ergeht entweder

aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil, wenn der Staatsanwalt es beantragt oder der Vorsitzende es für angemessen hält oder
ohne Hauptverhandlung durch Beschluss.
 

☆ Wegen des Einheitsprinzips setzt die nachträgliche Festsetzung nicht voraus , dass der Jugendliche die Tat, für die er die zweite Sanktion erhalten hat, vor der ersten Verurteilung begangen hat.nicht voraus, dass der Jugendliche die Tat, für die er die zweite Sanktion erhalten hat, vor der ersten Verurteilung begangen hat.

 

Rdn 523

b) Das Gericht ist bei seiner Entscheidung an die jeweiligen Schuldsprüche und die sie tragenden Gründe gebunden. Es bemisst jedoch eine neue einheitliche Rechtsfolge, die von den früheren Beurteilungen unabhängig ist und auf einer Gesamtwürdigung aller einzubeziehenden Straftaten beruhen muss. Die Rechtsfolgen der einbezogenen Entscheidungen entfallen – als wären sie nicht ergangen – mit der Rechtskraft der Entscheidung nach § 66 JGG.

 

Rdn 524

Nach h.M. soll bei der Findung der neuen Rechtsfolge das Verschlechterungsverbot (s. dazu Burhoff/Kotz/Schimmel, RM, Teil A, Rn 1097 ff.) nicht gelten, da das Nachtragsverfahren gem. § 66 JGG kein Rechtsmittelverfahren darstellt; mit der nachträglichen Entscheidung sei keine andere Instanz im Rechtszug befasst. Da auch § 54 Abs. 2 S. 1 StGB keine Anwendung finden soll, dürfen ggf. auch die bisher angeordneten Rechtsfolgen insgesamt überschritten werden (D/S/S-Schatz, § 66 Rn 15; Brunner/Dölling, § 66 Rn 5; HK-JGG/Meier, § 66 Rn 9; Streng, Rn 238; Laubenthal/Baier/Nestler, Rn 521; a.A. Ostendorf, § 66 Rn 11: § 54 Abs. 2 S. 1 StGB analog zugunsten des Verurteilten; zw. Eisenberg, § 66 Rn 7). So soll auch im Wege der nachträglichen Entscheidung gem. § 66 JGG bei einer Häufung von Straftaten, die die Voraussetzungen für die Annahme von schädlichen Neigungen ergeben, erstmalig eine Jugendstrafe verhängt werden können (D/S/S-Schatz, § 66 Rn 15; Brunner/Dölling, § 66 Rn 5; zur erstmaligen Einbeziehung in der Berufungsinstanz Schweckendieck NStZ 2005, 141). Jedoch dürfen die neuen Maßnahme auch milder ausfallen, so z.B. wenn in dem einbezogenen Urteil eine Jugendstrafe verhängt wurde, nunmehr jedoch nicht mehr von der Vorlage schädlicher Neigungen auszugehen ist (BGH StV 1992, 432).

 

Rdn 525

Wegen § 109 Abs. 2 S. 2 JGG und § 105 Abs. 2 JGG kann auch ein nach Erwachsenenstrafrecht ergangenes Urteil in ein neues Urteil, das nur jugendstrafrechtliche Reaktionen beinhaltet, einbezogen werden (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2010, 27).

 

Rdn 526

Ausgeschlossen ist eine nachträgliche Entscheidung,

wenn die einheitliche Sanktionie...

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