Das Wichtigste in Kürze:

1. Sind hinreichende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Strafaussetzung widerrufen wird, kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses vorläufige Maßnahmen treffen, um sich der Person des Verurteilten zu versichern.
2. Hinreichende Gründe i.S.d. § 453c Abs. 1 StPO liegen vor, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Widerruf der Strafaussetzung auszugehen ist.
3. Eine Notwendigkeit, sich der Person des Verurteilten zu versichern, besteht, wenn er unbekannten Aufenthalts ist und damit gerechnet werden muss, dass er sich der Strafvollstreckung entziehen werde.
4. Als vorläufige Maßnahmen kommen insbesondere die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung und sonstige Fahndungsmaßnahmen sowie die Auferlegung einer Meldepflicht in Betracht.
5. Der Erlass eines Sicherungshaftbefehls erfolgt nur notfalls, er ist ultima ratio.
6. Die hohe Wahrscheinlichkeit eines Bewährungswiderrufs alleine rechtfertigt die Sicherungshaft nicht. Hinzukommen muss der Haftgrund der Flucht, der Fluchtgefahr oder die Gefahr, dass der Verurteilte neue erhebliche Straftaten begehen wird.
7. Die durch den Vollzug des Sicherungshaftbefehls erlittene Haft wird auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet.
8. Zuständig für den Erlass des Sicherungshaftbefehls ist das Gericht des ersten Rechtszugs, es sei denn es ist eine Abgabe an das Wohnsitzgericht oder an die StVK erfolgt.
9. Statthaftes Rechtsmittel ist die einfache Beschwerde gem. § 304 StPO. Die weitere Beschwerde gem. § 310 Abs. 1 StPO ist ausgeschlossen.
10. Anstelle eines Sicherungshaftbefehls kann das Gericht auch direkt einen Widerrufsbeschluss erlassen und diesen öffentlich zustellen.
 

Rdn 388

 

Literaturhinweise:

Hillenbrand, Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung: Voraussetzungen und Verfahren, ZAP F. 22, S. 799

Katzenstein, Der Widerruf der Strafaussetzung in Abwesenheit des Verurteilten und die nachträgliche Überprüfung der Widerrufsentscheidung nach erfolgter Festnahme, StV 2003, 359

Klinger, Der Sicherungshaftbefehl gem. § 453c StPO im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zum Widerruf der Strafaussetzung, NStZ 2012, 70.

 

Rdn 389

1. Sind hinreichende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Strafaussetzung widerrufen wird, kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses vorläufige Maßnahmen treffen, um sich der Person des Verurteilten zu versichern. Diese durch § 453c Abs. 1 StPO eröffnete Möglichkeit sichert den Vollzug einer Freiheitsstrafe, einer Jugendstrafe oder eines Strafrests. Zudem gilt die Vorschrift auch bei der Aussetzung von freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. Nicht anwendbar ist § 453c dagegen auf die Verwarnung mit Strafvorbehalt (KK-Appl, § 453c Rn 1; → Bewährung, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Teil A Rdn 242).

 

Rdn 390

2.a) Hinreichende Gründe i.S.d. § 453c Abs. 1 StPO liegen vor, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Widerruf der Strafaussetzung auszugehen ist. Die Fassung der Vorschrift ist an die Interpretation des hinreichenden Tatverdachts i.S.d. § 203 StPO angelehnt (KK-Appl, § 453c Rn 3; LR-Graalmann-Scherer, § 453c Rn 5). Das Gericht hat folglich zu prüfen, ob mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Widerrufsgrund gem. § 56f Abs. 1 StGB vorliegt (zum hinreichenden Tatverdacht Burhoff, EV, Rn 1965). Weiter hat es zu prüfen, ob damit zu rechnen ist, dass eine mildere Maßnahme i.S.d. § 56f Abs. 2 StGB verhängt werden wird, insbesondere ob voraussichtlich die Verlängerung der Bewährungszeit ausreichend sein wird. Ist dies der Fall, ist § 453c StPO nicht anwendbar (Meyer-Goßner/Schmitt, § 453c Rn 3).

 

Rdn 391

b) Kommt als Widerrufsgrund eine neuerliche Straftat in Betracht, muss das Gericht vor dem Erlass des Sicherungshaftbefehls die zweifelsfreie Überzeugung erlangen, dass der Verurteilte die ihm zur Last gelegte Tat tatsächlich begangen hat (OLG Zweibrücken StV 1983, 511). Hinzukommen muss ferner eine neue, negative Kriminalprognose (→ Bewährung, Widerruf, neuerliche Straffälligkeit, Teil A Rdn 354). Ein rechtskräftiges Urteil ist aber nicht zwingend erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn die neue Straftat für das Widerrufsgericht in einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise feststeht (KG, Beschl. v. 2.10.2001 – 5 Ws 647/01; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 131). Dies kann bereits der Fall sein, wenn hinsichtlich der neuen Tat ein glaubhaftes Geständnis vor dem Richter abgelegt wird.

 

☆ Bestreitet der Verurteilte dagegen die neue Tat, kann ein Sicherungshaftbefehl nicht erlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn nach dem Stand des neuen Strafverfahrens eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch (OLG Zweibrücken StV 1983, 511). der Verurteilte dagegen die neue Tat, kann ein Sicherungshaftbefehl nicht erlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn nach dem Stand des neuen Strafverfahrens eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch (OLG Zweibrücken StV 1983, 511).

 

Rdn 392

c) Verstöße gegen Auflagen und Weisungen kommen nur als Widerrufsg...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge