Der Begriff des Reihengeschäfts ist im Mehrwertsteuerrecht der EU bis einschließlich 31.12.2019 nicht legal definiert. Im deutschen Umsatzsteuerrecht findet er sich hingegen in § 3 Abs. 6 UStG wieder. Nach der deutschen Definition liegt ein Reihengeschäft vor, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und der Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt. Ein Reihengeschäft besteht umsatzsteuerlich aus mehreren Lieferungen von Gegenständen.

 
Praxis-Beispiel

Beispiel

Der deutsche Unternehmer Fritz GmbH verkauft eine Ladung Werkzeugteile an einen Kunden in Paris, Frankreich. Die Teile bestellt die Fritz GmbH unmittelbar bei einem Lieferanten in Brüssel, Belgien, von wo sie direkt nach Paris versendet werden. Es handelt sich um ein umsatzsteuerliches Reihengeschäft. Der belgische Lieferant bewirkt eine Lieferung an die Fritz GmbH, und diese eine Lieferung an den französischen Kunden.

Für Reihengeschäfte mit innergemeinschaftlicher Warenbewegung ist von entscheidender Relevanz, dass nur eine der Warenlieferungen als innergemeinschaftliche Lieferung steuerbefreit sein kann. Dies hat der EuGH bereits grundsätzlich geklärt (vgl. EuGH vom 06.04.2006, C-245/04, Slg. I 2006, 3227 "EMAG Handel Eder"; EuGH vom 16.12.2010, C-430/09, Slg. I 2010, 13335 "Euro-Tyre-Holding").

In einer Reihe von Entscheidungen ging der EuGH auf die Frage ein, welche Lieferung in einem Reihengeschäft mit innergemeinschaftlicher Warenbewegung als innergemeinschaftliche Lieferung (vgl. § 6a UStG) steuerbefreit sein kann. Er entschied sich als Lösung für eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, bei der festzustellen ist, wann dem mittleren Abnehmer bzw. dem letzten Abnehmer die umsatzsteuerlich relevante Verfügungsmacht verschafft wird, um diese Frage zu beantworten (vgl. EuGH vom 16.12.2010, C-430/09, Slg. I 2010, 13335 "Euro-Tyre-Holding"; EuGH vom 27.09.2012, C-587/10, UR 2012, 832 "VSTR"). Der BFH hat ebenfalls in den letzten Jahren mehrfach zu der Problematik Stellung genommen und sich schließlich grundsätzlich dem Lösungsansatz des EuGH angeschlossen (vgl. BFH vom 25.02.2015, XI R 15/14, BFHE 249, 343; BFH vom 28.05.2013, XI R 11/09, BFHE 242, 84; BFH vom 25.02.2015, XI R 30/13, HFR 2015, 600). In der Praxis ist die entsprechende Rechtsprechung stark kritisiert worden, weil sie insbesondere für Unternehmen mit zahlreichen unterschiedlichen Transaktionen nicht zeitnah und rechtssicher umgesetzt werden kann (vgl. u. a. Maunz, DStR 2015, 1025, Nieskens, UR 2015, 419).

Im deutschen Recht finden sich wie auch in den Umsatzsteuergesetzen verschiedener anderer Staaten (insbesondere zu nennen ist Österreich, vgl. § 3 Abs. 8 öUStG und Abschn. 3.8.2 öUStR 2000) Regelungen zum Umgang mit grenzüberschreitenden Reihengeschäften und insbesondere zur Identifizierung der potenziell steuerfreien innergemeinschaftlichen Warenbewegung (vgl. § 3 Abs. 6 und 7 UStG, dazu Abschnitt 3.14 UStAE). Dabei sind die gleichen Grundsätze prinzipiell auch für Reihengeschäfte mit Drittlandsbezug im Hinblick auf die steuerfreie Ausfuhrlieferung (vgl. § 6 UStG) anwendbar.

Ab dem 01.01.2020 findet sich erstmals das Reihengeschäft explizit in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Im Wege einer Änderung enthält das Unionsrecht ab diesem Zeitpunkt eine spezielle Norm zur Bestimmung der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft, in welchem ein mittlerer Unternehmer die Verantwortung für den Warentransport trägt vgl. Art. 36a MwStSystRL.

Die Neuregelung sieht grundsätzlich vor, dass die innergemeinschaftliche Lieferung der Lieferung des ersten Unternehmers an den mittleren Abnehmer zuzurechnen ist. Tritt dieser allerdings gegenüber dem ersten Lieferer unter einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus dem Abgangsstaat auf, soll abweichend hiervon die innergemeinschaftliche Lieferung seiner Lieferung an seinen Abnehmer zugerechnet werden.

In Deutschland wurde die Neuregelung zum 01.01.2020 durch § 3 Abs. 6a UStG umgesetzt. In Bezug auf innergemeinschaftliche Reihengeschäfte ist die Umsetzung dabei unionsrechtskonform erfolgt.

 
Praxis-Beispiel

Beispiel

Das deutsche Unternehmen Fritz GmbH verkauft eine Ladung Werkzeugteile an einen Kunden in Paris, Frankreich. Die Teile bestellt die Fritz GmbH unmittelbar bei dem Lieferanten Franz AG in Essen, Deutschland, von wo sie direkt nach Paris versendet werden. Es handelt sich um ein umsatzsteuerliches Reihengeschäft. Die Fritz GmbH beauftragt den Spediteur, der die Ware transportiert.

Falls die Fritz GmbH unter ihrer deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auftritt, empfängt sie von der Franz AG eine in Deutschland umsatzsteuerpflichtige Lieferung und bewirkt selbst eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an den französischen Kunden.

Es ist festzuhalten, dass ein innergemeinschaftliches Reihengeschäft stets zu mindestens einer im Ursprungsmitgliedstaat steuerbare...

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