Anders als das auf Grundlage des Art. 113 AEUV weitgehend harmonisierte Umsatzsteuerrecht ist das Recht der direkten Steuern – entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV sowie Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. EU vom 30.03.2010 (DE), C 83/206) – grundsätzlich weiter Sache der einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. Art. 114 Abs. 2 AEUV). Nach Art. 115 AEUV bedürfen Richtlinien des EU-Rates, die unmittelbar die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, eines einstimmigen Ratsbeschlusses. Demzufolge wurden bislang lediglich punktuell EU-Richtlinien auf dem Gebiet der direkten Steuern erlassen, die entsprechend in den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen waren.

Dabei ging es zunächst insbesondere um Maßnahmen zur Beseitigung von Einschränkungen des Binnenmarktes zugunsten der Steuerpflichtigen der EU-Mitgliedstaaten. Dies gilt für die ursprünglich zwischen 1990 und 2003 erlassenen Richtlinien:

  • Mutter-Tochter-Richtlinie zur Beseitigung der (Doppel-)Besteuerung im Falle von Ausschüttungen zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU ansässigen Mutter- und Tochtergesellschaften bestimmter Rechtsformen, die in ihrem Ansässigkeitsstaat als Körperschaften besteuert werden (ursprünglich aus 1990, nun 2011/96, ABl. EU 2011, L 345/8).
  • Zins- und Lizenzrichtlinie zur Beseitigung der Quellensteuerbelastung bei grenzüberschreitenden Zins- und Lizenzgebührenzahlungen zwischen bestimmten verbundenen Unternehmen bestimmter Rechtsform, die in ihren Ansässigkeitsstaaten als Körperschaften besteuert werden (konsolidierte Fassung, ABl. EU 2007, 2003L0049 DE 002.001, 1).
  • Fusionsrichtlinie zur Vermeidung der sofortigen steuerpflichtigen Aufdeckung stiller Reserven bei bestimmten innereuropäischen Umwandlungsvorgängen (konsolidierte Fassung, ABl. EU 2007, 1990L0434, 004.001, 1).
  • Schiedsübereinkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung bei Gewinnberichtigungen zwischen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ansässigen verbundenen Unternehmen (ABl. EU 1990, L 225/10).

In den letzten Jahren traten weitere Richtlinien hinzu, deren vorrangiges Ziel nicht mehr in dem Schutz der Bürger und Unternehmen vor staatlichen Eingriffen, die die ungehinderte Ausübung der Grundfreiheiten im Binnenmarkt beschränken konnten, besteht. Vielmehr zielten diese neueren Richtlinien v. a. auf die Schaffung von sog. Mindeststandards zum Schutz der Mitgliedstaaten – und damit auch des Binnenmarktes selbst als "Institut" – vor der missbräuchlichen und wettbewerbsverzerrenden Ausnutzung durch einzelne Unternehmen ab.

Dies trifft insbesondere zu auf die

  • Anti-Tax-Avoidance Directive (ATAD I und II, ABl. EU 2016, L 193/1 bzw. ABl. EU 2017, L 144/1) sowie
  • eher präventiv ausgerichtet – auf die Richtlinie zur Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung, die Anzeigepflichten für sog. grenzüberschreitende Steuergestaltungen vorsieht ("DAC6"-Richtlinie; ABl. EU 2018, L 139/1).

Im Hinblick auf die durch die Umsetzung der ATAD-Richtlinien erwartete Zunahme von Doppelbesteuerungsrisiken bzw. die erwartete Häufung von Streitfällen betreffend die Zuordnung von Besteuerungsrechten zwischen den Mitgliedstaaten beschloss der Rat der Europäischen Union zudem eine sog. Streitbeilegungsrichtlinie (ABl. EU 2017, L 265/1). Da diese neuen Richtlinien bei Redaktionsschluss erst in den meisten Mitgliedstaaten umgesetzt wurden, gibt es insoweit – mit wenigen Ausnahmen betreffend "DAC6" in Polen – noch keine praktischen Erfahrungen.

Weitere Richtlinien sind in Vorbereitung. So hat der Europäische Rat am 22.03.2021 den Vorschlag für eine weitere Ausdehnung der steuerrelevanten Meldepflichten für digitale Plattformbetreiber (sog. DAC7-Richtlinie 12908/20, ABl. EU L 12908/20 vom 19.02.2021) zugestimmt (https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2021/03/22/taxation-council-adopts-new-rules-to-strengthen-administrative-cooperation-and-include-sales-through-digital-platforms/).

Großbritannien ist allerdings grundsätzlich nicht mehr an diese Richtlinien gebunden. Umgekehrt ist Deutschland EU-rechtlich künftig auch nicht mehr verpflichtet, diese Richtlinien Großbritannien gegenüber weiter anzuwenden. Lediglich soweit das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem VK ähnliche Regelungen getroffen hat, treten diese und etwaige Ausführungsbestimmungen als eigenständige neue Rechtsgrundlagen an die Stelle des früher anwendbaren EU-Rechts.

Im Gegensatz zu Deutschland hat Großbritannien bereits vor Ablauf der vorgesehenen Umsetzungsfrist zum 31.12.2019 Maßnahmen zur Umsetzung von bestimmten Regelungsbereichen der ATAD in entsprechende nationale Regelungen getroffen. Das VK hat dies auch im Hinblick auf die Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen (DAC6) angekündigt, vgl. HMRC, Consultation Document vom 22.07.2019, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/818842/International_...

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