1 Einführung

1.1 Übergang vom EU-Staat zum "Drittstaat"

1.1.1 Primärrecht (AEUV/EWRA)

Durch den Austritt des VK aus der EU und aus dem EWR (s. dazu Teil A) wurde das VK aus EU- und EWR-Sicht zu einem Drittstaat. Soweit nicht neue Vereinbarungen zwischen dem VK und der EU bzw. dem EWR für "Abmilderungen" sorgen, können sich Staatsangehörige und Ansässige im VK künftig nicht mehr auf diejenigen Grundfreiheiten berufen, deren Anwendung auf das Gebiet der EU- bzw. EWR-Mitgliedstaaten beschränkt sind.

Lediglich die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV bzw. Art. 49 EWRA gilt auch für das Verhältnis zu Drittstaaten, soweit die betreffenden staatlichen Beschränkungen nicht bereits am 31.12.1993 in Kraft waren (sog. Stand-Still-Klausel nach Art. 64 AEUV).

Soweit es nicht um den Eingriff in Rechte einzelner Steuerpflichtiger geht, sondern um die Gewährung besonderer Vorteile zulasten der Staatskasse, sieht Art. 107 Abs. 1 AEUV ebenso wie Art. 61 Abs. 1 EWRA ein Verbot staatlicher Beihilfen vor. Nach dem Brexit unterliegen steuerliche Beihilfen, die das VK Steuerpflichtigen gewährt, nicht automatisch diesem Beihilfeverbot. Allerdings hat Großbritannien bereits im Rahmen des "European Union (Withdrawal) Act 2018" (sog. "Great Repeal Act") das EU-Recht im Grundsatz vollständig in nationales britisches Recht überführt, um nach dem EU-Austritt autonom entscheiden zu können, welche Vorschriften es auch künftig beibehalten möchte, und in welchen Bereichen es eigene, von den EU-Vorgaben abweichende Wege beschreitet.

Das kurz vor Ablauf des Übergangszeitraums im Dezember 2020 noch abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits (ABl. EU L 444/14 vom 31.12.2020 bzw. nunmehr ABl. EU 149/10 vom 30.04.2021) sieht an der Stelle des bisherigen EU-Rechts im Verhältnis zwischen der EU und den EU-Mitgliedstaaten einerseits und dem VK andererseits bestimmte Erleichterungen für die künftigen wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen vor, die jedoch nicht den gleichen Schutzumfang haben, wie dies innerhalb der EU der Fall war.

Hervorzuheben sind insofern die in Teil 2, Teilbereich 1, Titel II, Artikel SERVIN 2.3 Abs. 2 vorgesehene Verpflichtung der regionalen oder lokalen Regierungsebenen des VK, Investoren aus einem EU-Staat Inländergleichbehandlung zu gewähren. Umgekehrt sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Investoren aus UK grundsätzlich in ihren Hoheitsgebieten Inländergleichbehandlung zu gewähren.

Von der darüber hinaus im Grundsatz auch vorgesehenen Meistbegünstigung sind DBA allerdings ausgenommen (Artikel SERVIN 2.4 Abs. 3, a. a. O.).

Im Abschnitt über Wettbewerb und Subventionen (Teil 2, Teilbereich ein, Titel XI) findet sich in Kapitel 3, Art. 3.1 eine Regelung zu Subventionen, deren Begriffsbestimmung Ähnlichkeiten zur Beihilfe i. S. v. Art. 107 AEUV aufweist, allerdings mit einer weitgehenden ausdrücklichen Aufnahme von Rechtfertigungsgründen, durch die eine Subvention nicht gegen das Abkommen verstößt (Art. 3.2 Buchst. b, a. a. O.).

Schließlich enthält das Kapitel 5 im gleichen Abschnitt auch einige "Standards" bei der Besteuerung, die sich allgemein an OECD-Prinzipien anlehnen, aber eher "soft law" darstellen und nicht der in Teil 6 des Abkommens vorgesehenen Streitbeilegung unterliegen.

Eine Anwendungspraxis für die genannten Regelungen, die ebenso wie der Brexit keine verbindlichen Vorbilder haben, wird sich erst herausbilden müssen.

1.1.2 Sekundärrecht/EU-Rats-Richtlinien

Anders als das auf Grundlage des Art. 113 AEUV weitgehend harmonisierte Umsatzsteuerrecht ist das Recht der direkten Steuern – entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV sowie Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, ABl. EU vom 30.03.2010 (DE), C 83/206) – grundsätzlich weiter Sache der einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. Art. 114 Abs. 2 AEUV). Nach Art. 115 AEUV bedürfen Richtlinien des EU-Rates, die unmittelbar die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, eines einstimmigen Ratsbeschlusses. Demzufolge wurden bislang lediglich punktuell EU-Richtlinien auf dem Gebiet der direkten Steuern erlassen, die entsprechend in den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen waren.

Dabei ging es zunächst insbesondere um Maßnahmen zur Beseitigung von Einschränkungen des Binnenmarktes zugunsten der Steuerpflichtigen der EU-Mitgliedstaaten. Dies gilt für die ursprünglich zwischen 1990 und 2003 erlassenen Richtlinien:

  • Mutter-Tochter-Richtlinie zur Beseitigung der (Doppel-)Besteuerung im Falle von Ausschüttungen zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU ansässigen Mutter- und Tochtergesellschaften bestimmter Rechtsformen, die in ihrem Ansässigkeitsstaat als Körperschaften besteuert werden (ursprünglich aus 1990, nun 2011/96, ABl. EU 2011, L 345/8).
  • Zins- und Lizenzrichtlinie zur Beseitigung der Quellensteuerbelastung bei grenzüberschreitenden Zins- und Lizenzgebührenzahlungen zwischen bestimmten verbundenen Unternehmen bestimmter Recht...

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