2.11.1 Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)

 

Rz. 55

Bis zur Änderung der Rechtslage durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (vgl. Rz. 12f) bedurften Patienten einer Ausnahmeerlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Cannabis aus einer Apotheke (getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte) zur medizinischen Anwendung in Form einer medizinisch betreuten Selbsttherapie. Die Ausnahmeerlaubnis kam nur Betracht für Patientinnen und Patienten, denen keine geeigneten schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung standen. Die Rezeptur des isolierten Hauptwirkstoffs von Cannabis (Dronabinol) scheiterte daran, dass die Behandlung als Gegenstand einer neuen Behandlungsmethode i. S. d. § 135 Abs. 1 angesehen wurde, für die keine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses existierte. Eine Leistungspflicht nach § 31 bestand für die Krankenkassen nicht (BSG, Urteil v. 27.3.2007, B 1 KR 30/06 R Rz. 12 ff.; Urteil v. 13.10.2010, B 6 KA 48/09 R).

Mit der Änderung u. a. des BtMG und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung durch das genannte Gesetz wurde nun die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln hergestellt, wie z. B. von getrockneten Cannabisblüten und Cannabisextrakten in standardisierter Form. Eine Ausnahmeerlaubnis durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist nicht mehr notwendig. Vielmehr trifft die Ärztin oder der Arzt nach strikter Indikation die Entscheidung, ob die Patientin oder der Patient mit Cannabisarzneimitteln in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten angemessen behandelt werden kann. Verordnungsfähig sind jedoch nur Cannabisblüten und Cannabisextrakte, die die betäubungsmittelrechtlichen und arzneimittel- und apothekenrechtlichen Anforderungen erfüllen. Begleitend hierzu schafft Abs. 6 die Möglichkeit der Erstattung für diese Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung in bestimmten Fällen. In Deutschland hergestellte Fertigarzneimittel (z. B. Sativex® oder Canemes®) fallen ebenso unter diese Regelung wie Rezepturarzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon.

Cannabisarzneimittel müssen auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden, da es sich bei den Arzneimitteln um Betäubungsmittel der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG handelt. Bei der Verschreibung innerhalb von 30 Tagen sind die Höchstmengen in der jeweils aktuellen Fassung des § 2 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung zu beachten. Die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist keine zwingende Bedingung für die Verschreibung.

2.11.2 Anspruchsvoraussetzungen (Abs. 6 Satz 1)

 

Rz. 56

Der Anspruch setzt zunächst voraus, dass für eine Versicherte/einen Versicherten mit einer schwerwiegenden Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. Das Tatbestandsmerkmal der schwerwiegenden Erkrankung ist dann in Anknüpfung der Rechtsprechung zum Off-Label-Use eines Arzneimittels erfüllt, wenn eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung besteht (vgl. etwa BSG, Urteil v. 19.3.2002, B 1 KR 37/00 R Rz. 26).

 

Rz. 57

Mit der weiteren Voraussetzung, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht (Abs. 6 Satz 1 Nr. 1a), knüpft das Gesetz an § 2 Abs. 1a Satz 1 an. Davon ist zum einen auszugehen, wenn es für die Behandlung der Erkrankung grundsätzlich keine entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten gibt bzw. die dem medizinischen Standard entsprechenden Leistungen versagt haben. Eine Leistung steht aber zum anderen auch dann nicht zur Verfügung, wenn es eine solche Behandlungsmethode zwar gibt, sie aber im konkreten Fall nicht angewandt werden kann, wie z. B. dann, wenn der Patient weder in eine klinische Prüfung noch in ein Härtefallprogramm zu diesem Arzneimittel eingeschlossen werden kann (Peters, in: KassKomm. SGB V, § 2 Rz. 7 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 2 Abs. 1a in BT-Drs. 17/6906 S. 13, 52, 53 und BT-Drs. 17/8005 S. 13, 103). Den betroffenen Versicherten will der Gesetzgeber im Rahmen der ärztlichen Behandlung hiermit eine Möglichkeit eröffnen, nach Versagen empfohlener Therapieverfahren einen individuellen Therapieversuch zu unternehmen. Dieses Merkmal setzt nicht voraus, dass den Versicherten langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen zugemutet werden, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann. Vielmehr soll die Therapiealternative auch dann gemäß der alternativen Voraussetzung in Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b angewendet werden können, wenn im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes u...

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