Leitsatz

Die Verpflichtung bedürftige Eltern zu unterstützen besteht auch, wenn diese zuvor krankheitsbedingt wenig Hilfreiches für das Kind tun konnten. Der BGH erkennt nur sehr begrenzt wegen unbilliger Härte die Möglichkeit an, nicht vom Staat zum Unterhalt für die Eltern herangezogen zu werden.

 

Sachverhalt

Es ging um die Frage, ob die Allgemeinheit die Kosten eines Pflegeheimaufenthalts tragen muss oder gegen den Sohn Anspruch auf Elternunterhalt aus übergegangenem Recht hat. Die Mutter des Beklagten befand sich lange in einem Pflegeheim und litt schon während der Kindheit des Sohns an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antriebsschwäche und Wahnideen. Sie hatte ihn nur bis zur Scheidung von ihrem Ehemann 1973 – mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Krankenhausaufenthalte – versorgt. Durch ihre Krankheit war diese Versorgung teilweise unzureichend. Seit spätestens 1977 bestand so gut wie kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter.

Nun sollte der Sohn für die inzwischen verstorbene Mutter rückwirkend Sozialhilfe an die Stadt Gelsenkirchen zurückbezahlen. Der Sohn weigerte sich mit der Argumentation der Anspruch sei wegen verspäteter Geltendmachung durch den So­zialhilfeträger verwirkt und er entfiele aber auch wegen Fehlverhaltens (Wahnvorstellungen etc.) seiner Mutter. Da sie ihn als Kind nie gut behandelt habe, würde es zum anderen eine unbillige Härte bedeuten, wenn er gegenüber dem Sozialhilfeträger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsste.

Der BGH sah dies anders und verurteilte den Beklagten zur Zahlung an die Stadt. Der Unterhaltsanspruch ist nicht verwirkt, denn eine Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung scheitere bereits am nicht erfüllten Zeitmoment, wonach der Gläubiger seinen Anspruch nur dann verliert, wenn er sein Recht längere Zeit – mindestens 1 Jahr – nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre. Hier hatte sich die Behörde durchgängig um die Realisierung des auf sie übergangenen Unterhaltsanspruchs bemüht. Deshalb durfte sich der Beklagte auch nicht darauf einrichten, dass die Klägerin ihr Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Weiter entschied der BGH, dass eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten i.S.d. § 1611 BGB gilt. Es führt daher nicht zum Anspruchsverlust.

Die familiären Solidarität erlauben es dem Sohn nicht, wegen der "als schicksalsbedingt zu qualifizierenden" Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf ihn, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn eine erkennbarer Kausalität zwischen der schwierigen Kindheit des Beklagten zu einem Handeln des Staats vorliegt. Eine solche Konstellation liegt z.B. vor, wenn die psychische Erkrankung des Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg beruht (BGH, Urteil v. 21.4.2004, XII ZR 251/01).

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 15.09.2010, XII ZR 148/09.

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